Das Ergebnis im Detail: Die Beschäftigten erhalten noch in diesem Monat eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.300 Euro, der größere Teil der gesetzlich ermöglichten Prämie wurde bereits im Jahr 2023 ausgeschüttet.
Zusätzlich wurde verabredet, die Löhne in zwei Schritten zu erhöhen. Ab 1. Mai 2025 erhalten alle Beschäftigten eine monatliche Lohnerhöhung von 120 Euro, in einem zweiten Schritt erfolgt am 1. November 2025 eine weitere Lohnerhöhung um 2,8 Prozent. Die Löhne der Beschäftigten steigen somit im Laufe des kommenden Jahres um bis zu 7,7 Prozent.
Für Auszubildende wurden eine Ausschüttung von 650 Euro Inflationsausgleichsprämie sowie zwei Lohnerhöhungen von 50 Euro (1. Mai 2025) und 40 Euro (1. November 2025) vereinbart.
Die Laufzeit des Tarifvertrages endet am 30. August 2026.
„Ob Werkstatt, Fahrdienst, oder Ingenieure – in allen Berufen im Verkehr gibt es Personalmangel, Krankenstände und eine hohe Fluktuation. Wir sind froh, in dieser turbulenten Zeit einen soliden Entgeltabschluss erreicht zu haben. Für das Ergebnis mussten wir nicht nur am Verhandlungstisch hart kämpfen. Mit bis zu sechs Streiktagen in den Betrieben haben wir diesmal gemeinsam mehr Druck auf die Arbeitgeber machen müssen als in allen bisherigen Tarifrunden seit zehn Jahren.“ Andreas Schackert, ver.di-Verhandlungsführer. ver.di hatte eine Erhöhung der Tabellenlöhne um 350 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert.
In den Tarifbereich ETV fallen 21 Verkehrsunternehmen in sechs Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz). Die insgesamt ca. 5.500 Beschäftigten sind im Schienengüterverkehr, Schienenpersonennahverkehr und im ÖPNV mit Bussen tätig. Im Rahmen der Tarifrunde wurde in folgenden Unternehmen in zahlreichen Betrieben gestreikt: Albtal-Verkehrsgesellschaft (Karlsruhe), ETZ Herne, HGK und RheinCargo (Köln), Kahlgrund Verkehrsgesellschaft Schöllkrippen, Mindener Kreisbahn, OVAG Gummersbach, Regiobus Hannover, SWEG (Lahr), Verkehrsbetriebe Kreis Plön, Wanne-Herner Eisenbahn.
(Text: ver.di)
Nach der Vorstellung des Umbauprogramms im Gesamtbetriebsrat sagte dessen Vorsitzender Thomas Pretzl am Donnerstag (5. Dezember), in Deutschland seien 689 Arbeitsplätze betroffen, in Großbritannien, Frankreich und Spanien 1.354. «Wir konnten bereits vor Beginn der Verhandlungen betriebsbedingte Kündigungen ausschließen», sagte Pretzl.
Im Oktober hatte Airbus bis Mitte 2026 den Abbau von insgesamt bis zu 2.500 Stellen in der Sparte angekündigt, nun spricht das Unternehmen von insgesamt 2.043 Stellen, vor allem in der Verwaltung und im Raumfahrtbereich. In Deutschland sind laut Betriebsrat die Standorte Ottobrunn bei München, Friedrichshafen am Bodensee, Manching bei Ingolstadt, Bremen sowie Backnang und Ulm in Württemberg betroffen. Einige Standorte treffe es hart, sagte Pretzl. Wegen der laufenden Verhandlungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmerseite können sich konkrete Zahlen aber noch ändern.
Deutsche Politik soll sich mehr einsetzen: «Aufgrund der vorhandenen Arbeitslast kritisieren wir den Stellenabbau, die erneute Reorganisation innerhalb eines Jahres und die unzureichende Vertretung deutscher Manager bei der Leitung des Raumfahrtbereichs», sagte Pretzl. Er forderte die Bundes- und Landespolitik auf, «sich entsprechend für die Arbeitsplätze, Standorte und Technologien zu positionieren».
Die Rüstungs- und Raumfahrtsparte von Airbus beschäftigt in Europa rund 35.000 Menschen. Während das Geschäft mit Militärflugzeugen und Cyber-Sicherheit gut läuft, musste der Raumfahrtbereich im ersten Halbjahr hohe Abschreibungen verbuchen.
Satellitenmarkt umgekrempelt: Das Geschäft mit Telekommunikations- und Navigationssatelliten ist durch wachsende Konkurrenz und neue Technologien unter Druck. Der SpaceX-Konzern von Elon Musk in den USA ist inzwischen der größte Satellitenbetreiber der Welt. Der Markt für traditionelle geostationäre Satelliten in großer Höhe dagegen hat sich in den vergangenen Jahren halbiert. Airbus will den einzelnen Bereichen der Luft- und Raumfahrtsparte jetzt mehr Eigenverantwortung geben und die Organisationsstruktur verschlanken, um sich in dem sich rasch wandelnden Markt zu behaupten.
(Text: dpa)
Die Kaufkraftverluste aus den Jahren 2021 bis 2023 seien damit etwa zur Hälfte kompensiert, erklärt der Leiter des Instituts, Thorsten Schulten.
Nach den Auswertungen der Tarifabschlüsse sind die Gehälter von gut 20 Millionen Beschäftigten im laufenden Jahr nominal um 5,5 Prozent gestiegen. Daraus ergibt sich nach Abzug der Jahresteuerung von voraussichtlich 2,2 Prozent erstmals seit 2020 wieder ein Reallohnzuwachs von 3,2 Prozent.
Als Einmalzahlung berücksichtigt sind die häufig gezahlten Inflationsausgleichsprämien, die vom Staat bis zu einer Höhe von 3000 Euro steuer- und abgabenfrei gestellt worden sind. Sie haben nach Einschätzung von Schulten kurzfristig geholfen, Kaufkraftverluste zu begrenzen und im laufenden Jahr besonders hohe Reallohnzuwächse realisiert. Da sie aber im kommenden Jahr nicht erneut anfallen, wirken sie sich für 2025 stark dämpfend auf die weitere Entwicklung der Tariflöhne aus.
Vor wenigen Tagen hat das Statistische Bundesamt für sämtliche Arbeitnehmer einen Reallohnzuwachs von 2,9 Prozent berechnet bei einer Teuerung von 1,9 Prozent. Beide Angaben beziehen sich auf das dritte Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Reallöhne sind damit bereits das sechste Quartal in Folge gestiegen.
(Text: dpa)
Tarifliche Regelungen, nach denen Teilzeit-Arbeitnehmer erst dann Mehrarbeitszuschläge bekommen, wenn sie mit der Zahl der erbrachten Überstunden die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten überschritten haben, verstoßen demnach gegen das Diskriminierungsverbot. Eine Ausnahme wäre nur möglich, wenn die Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei.
In Deutschland arbeiten nach Zahlen des Statistischen Bundesamts mehr als zwölf Millionen Menschen in Teilzeit - besonders hoch ist der Anteil bei Frauen.
Oft Frauen benachteiligt: Die Bundesarbeitsrichter entschieden auch, dass beim Fehlen sachlicher Gründe für die bisherige Zuschlagsregelung bei Teilzeit regelmäßig auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen werde. Es liege eine «mittelbare Benachteiligung wegen des (weiblichen) Geschlechts vor, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind», erklärten sie.
Die sogenannte Vollzeitquote bei Überstundenzuschlägen ist nach Angaben von Arbeitsrechtlern in vielen Tarifverträgen enthalten. Der Präzedenzfall für das Grundsatzurteil kommt aus Hessen.
(Text: dpa)
Von den gut 400 Standorten sollen 26 geschlossen, das Auslandsgeschäft durch Verkäufe «wesentlicher internationaler Beteiligungen» geschrumpft werden. Das Sanierungsgutachten hat die Unternehmensberatung Roland Berger ausgearbeitet. Zieldatum für den Abschluss der Sanierung ist Ende 2027. Die Gewerkschaft Verdi will den Stellenabbau nicht kampflos hinnehmen.
Sechzehn Prozent der Belegschaft getroffen: Die Baywa ist unter anderem der größte deutsche Agrarhändler, der Konzern spielt eine bedeutende Rolle für Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung im Süden und Osten Deutschlands. Auf dem Konzern lasten Schulden in Milliardenhöhe, Erblast einer rapiden Expansion auf Pump im vergangenen Jahrzehnt. Von den 8000 Vollzeitstellen in der Muttergesellschaft Baywa AG sollen 6700 erhalten bleiben. Rechnerisch bedeutet dies, dass das Unternehmen über 16 Prozent der Belegschaft abbauen will. Die Gespräche mit dem Gesamtbetriebsrat haben laut Unternehmen begonnen, der Vorstand hofft auf eine Einigung bis Ende März 2025.
Verdi fordert Verzicht auf großen Stellenabbau: Die Gewerkschaft Verdi forderte den Verzicht auf einen Kahlschlag beim Personal. Die Sanierung solle «vollständig auf dem Rücken der Beschäftigten» ausgetragen werden, kritisierte Thomas Gürlebeck, Vizebereichsleiter für den Handel bei Verdi Bayern. Die Gewerkschaft werde gemeinsam mit der Belegschaft um jeden Arbeitsplatz kämpfen. «Der größenwahnsinnige Expansionskurs der BayWa-Manager und der damit verbundene zu hohe Verschuldungsgrad ist allein verantwortlich für die Finanzkrise der BayWa AG.»
Auch international wird die Baywa schrumpfen: Weltweit beschäftigte der Baywa-Konzern inklusive seiner Tochtergesellschaften Ende 2023 gut 23.000 Menschen. Die internationale Belegschaft wird wegen der geplanten Verkäufe von Konzernteilen ebenfalls schrumpfen. Welche «wesentlichen» Beteiligungen zum Verkauf stehen, teilte der Vorstand nicht mit. Die wichtigsten Beteiligungen sind die auf Planung und Bau von Ökostromkraftwerken spezialisierte Baywa r.e., der neuseeländische Apfelproduzent Turners & Growers, die niederländische Agrarhandelsgesellschaft Cefetra sowie ein Anteil an der österreichischen Raiffeisen Ware Austria. Insgesamt hat die heute in knapp 60 Ländern vertretene Baywa mehrere hundert Tochtergesellschaften und Beteiligungen, wie dem Geschäftsbericht zu entnehmen.
Erbe des früheren Konzernchefs: Faktisch läuft das Sanierungsprogramm darauf hinaus, dass die aus der Genossenschaftsbewegung hervorgegangene Baywa die kreditfinanzierte Expansion weitgehend rückabwickeln wird, die der langjährige Vorstandschef Klaus Josef Lutz im vergangenen Jahrzehnt orchestrierte. Der heutige Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK) setzte gegen beträchtliche Widerstände in dem konservativen Unternehmen den Einstieg in das Geschäft mit erneuerbaren Energien durch. Auf den Erwerb der Beteiligungen an Cefetra und Turners & Growers war Lutz immer stolz.
Schuldenberg: Lutz lenkte die Baywa von 2008 bis 2023. Die kurz- und langfristigen Finanzschulden summierten sich schließlich auf über 5 Milliarden Euro, davon etwa die Hälfte kurzfristig - also innerhalb eines Jahres fällig. Der von Lutz und seinen Vorstandskollegen offenkundig nicht einkalkulierte rapide Anstieg der Kreditzinsen in den vergangenen beiden Jahren brachte die Baywa in Schieflage: Die Zinszahlungen an die Banken verdreifachten sich von 2021 bis 2023 auf 362 Millionen Euro, deswegen schrieb der Konzern im vergangenen Jahr erstmals Verlust.
Die schlechte Weltkonjunktur traf die Baywa zusätzlich, allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres vervielfachte sich der Nettoverlust auf gut 640 Millionen Euro. Die geplanten Verkäufe sollen den Schuldenberg verkleinern und den finanziellen Spielraum im täglichen Geschäft wieder vergrößern.
(Text: dpa)
Als Grund nannte NGG-Verhandlungsführer Mark Baumeister in Hamburg mangelnde Bewegung auf Arbeitgeberseite. Im Arbeitgeberverband BdS sind unter anderem McDonald’s, Burger King, Nordsee, KFC und ECP/Areas vertreten. Letztere betreibt die Gastronomie in den Center Parcs.
Die Gewerkschaft fordert einen Einstiegsstundenlohn von 15 Euro, 500 Euro mehr im Monat für die Beschäftigten ab Tarifgruppe zwei sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro für NGG-Mitglieder. Zudem soll die Ausbildungsvergütung auf 1.150 Euro im ersten, 1.250 im zweiten und 1.350 Euro im dritten Ausbildungsjahr steigen.
Gewerkschaft spricht von «Magerangebot» der Arbeitgeber
Der Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) habe sein ursprüngliches «Magerangebot, das bei rund 13 EUR pro Stunde in den unteren drei Tarifgruppen lag, um ganze 5 Cent erhöht», sagte Baumeister. Zudem seien die angebotene Laufzeit von 42 Monaten und eine erste Erhöhung ab 1. Januar inakzeptabel. «Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei McDonald‘s und Co erwarten eine echte Entlastung und deutlich mehr», sagte er. «Wir sind enttäuscht, entsprechend laut werden unsere nächsten Aktionen ausfallen.»
(Text: dpa)
Die zudem angebotenen 300 Euro Inflationsausgleichsprämie sind für den Gewerkschafter ein "unmoralisches Angebot und Fake News. Mal abgesehen von dem viel zu geringen Betrag, so ist es auszahlungstechnisch gar nicht mehr möglich."
Die IG BAU fordert acht Prozent mehr. Auch wenn die Inflationsrate derzeit um die zwei Prozent pendelt, so hat sich ein Reallohnverlust seit 2022 auf 7,8 Prozent aufgebaut. So stiegen beispielsweise die Mieten, Lebensmittelpreise oder die Versicherungsbeiträge drastisch an und halten sich weiterhin auf einem hohen Niveau. "Die Beschäftigten im Maler- und Lackiererhandwerk arbeiten wie die Pferde und werden bezahlt wie die Ponys, Sie brauchen dringend mehr Geld im Portemonnaie", sagt Burckhardt. Er widerspricht auch dem Argument der Arbeitgeber, dass die derzeitige Wohnungsbaukrise höhere Lohnsteigerungen nicht zulasse: "Rund 85 Prozent der Aufträge im Malerhandwerk sind private Sanierungen und Renovierungen, der Auftragsvorlauf beträgt über elf Wochen. Da ist von Krise nichts zu spüren." Zudem schössen sich die Unternehmen des Maler- und Lackiererhandwerks mit der minimalen Lohnerhöhung ein "Eigentor", denn benachbarte Branchen zahlten mittlerweile deutlich höhere Löhne. "Die Abwanderung ist schon angelaufen. Gleichzeitig hat eine eigene Umfrage des Bundesverbandes Farbe Gestaltung Bautenschutz in ihren Mitgliedsbetrieben einen nach wie vor hohen Fachkräftebedarf festgestellt. Da läuft etwas gehörig verkehrt – aber das müssen die Arbeitgeber in diesem Jahr mit Knecht-Ruprecht ausgiebig diskutieren und im nächsten Jahr, hoffentlich mit Erhellung am Verhandlungstisch."
Der vormalige Tarifvertrag ist am 30. September dieses Jahres ausgelaufen und gilt bis auf Weiteres. 1,6 Prozent mehr bedeutet für den Lohn eines jungen Facharbeiters oder einer jungen Facharbeiterin eine Steigerung von 30 Cent auf 19,17 Euro, die Forderung der IG BAU von acht Prozent machen 1,50 Euro aus, der Stundenlohn würde dann 20,37 Euro betragen. Die Laufzeit liegt bei jeweils zwölf Monaten. Die dritte Verhandlungsrunde ist auf den 29. Januar 2025 terminiert. Das Maler- und Lackiererhandwerk ist mit 21 000 Betrieben und 130 000 Beschäftigten die zweitgrößte Bauwirtschaftsbranche.
(Text: Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt)
Im November 2023 hatte die Quote mit 5,6 Prozent niedriger gelegen. Im vergangenen Jahr hatte der Rückgang von Oktober auf November allerdings nur minimale 1.000 Arbeitsplätze ausgemacht. Für die Novemberstatistik zog die Bundesagentur Datenmaterial heran, das bis zum 13. des Monats vorgelegen hat.
Geringe Herbstrückgänge: «Die Wirtschaftsschwäche belastet weiterhin den Arbeitsmarkt. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben im November zwar abgenommen; die Rückgänge waren
aber – wie schon im Vormonat – gering» sagte die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles.
Mehr Kurzarbeit: Deutlich gestiegen ist die Kurzarbeit. Im September - jüngere verlässliche Daten stehen nicht zur Verfügung - zahlte die Bundesagentur Kurzarbeitergeld an 268.000 Beschäftigte aus. Im August waren es 175.000, im Juli 194.000. Im November kamen bis zum 25. des Monats Anträge für 64.000 weitere hinzu. Ob diese tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist aber noch nicht sicher. Insgesamt ist die Kurzarbeit in diesem Jahr deutlich höher ausgefallen als erwartet - die Bundesagentur musste 726 Millionen Euro an Kurzarbeitergeld auszahlen. Das ist mehr als doppelt so viel wie im Haushalt veranschlagt worden war.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist weiter zurückgegangen. Im November standen in den Arbeitsagenturen 668.000 offene Arbeitsstellen zu Buche. Das sind 65.000 weniger als vor einem Jahr.
(Text: dpa)
Aktuell falle die Erwerbsmigration erheblich geringer aus als benötigt. Hemmnisse müssten abgebaut und Bedingungen für Migranten verbessert werden, sagt die Stiftungsexpertin für Migration, Susanne Schultz.
Ein Flüchtling wird zur IT-Fachkraft - und kehrt Deutschland den Rücken: Der Blick auf ein Beispiel kann ernüchtern. So schildert ein 2016 aus Syrien geflüchteter heute 29-Jähriger der Deutschen Presse-Agentur, er habe einen Bachelor und Master an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen geschafft - und verlasse Deutschland als gut ausgebildeter IT-Spezialist jetzt trotzdem. Er gehe in die Schweiz, sagt er.
«Ich habe hier Topleistungen gebracht, um als gleichwertig wahrgenommen zu werden, aber ich habe mich diskriminiert und abgelehnt gefühlt.» Im sozialen Leben, Studienumfeld und Nebenjob sei ihm viel Abwertung begegnet. Trotz Nebentätigkeit in einem Institut und sehr guten Master-Abschlusses habe er kein adäquates Jobangebot erhalten: «Ich möchte auf Augenhöhe behandelt werden, aber ich möchte nicht darum betteln.»
Expertin Schultz meint, der Fall stelle «leider keinen totalen Ausreißer» dar. «Deutschland kann sich so etwas nicht leisten und muss attraktiver werden.» Die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte müsse intensiver werden, Hürden seien abzubauen, mahnt auch die Untersuchung.
Großer Bedarf mit regionalen Unterschieden: Die Projektion rechnet damit, dass Deutschland im Durchschnitt bis 2040 jedes Jahr 288.000 Personen aus dem Ausland benötigt. Ein zweites Projektionsmodell, das auf einer etwas ungünstigeren Ausgangslage basiert, nimmt sogar an, dass 368.000 Personen nötig werden. Von 2041 bis 2060 sei - ausgehend auch von positiven Effekten aus vorheriger Zuwanderung - ein Bedarf von rund 270.000 Personen im Jahresschnitt zu erwarten.
Ohne zusätzliche Einwanderer würde die Zahl der Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels von aktuell 46,4 Millionen auf 41,9 Millionen - um rund 10 Prozent - sinken. Ausbleibende Zuwanderung könnte sich regional unterschiedlich auswirken: Laut Analyse würde der Schwund im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW mit einem angenommenen Minus von 10 Prozent etwa im Mittelfeld liegen. Thüringen, Sachsen-Anhalt und das Saarland wären stärker getroffen. Aber auch in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen wäre der Personalmangel ohne zusätzliche internationale Arbeitskräfte groß.
Nennenswerte Netto-Zuwanderung aus Drittstaaten - nicht aus EU-Ausland: Die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern ist unter dem Strich zuletzt stark gesunken und wird künftig kaum noch im nennenswerten Bereich liegen, heißt es. Umso wichtiger werden die Drittstaaten. 2023 sind Schultz zufolge rund 70.000 Arbeitskräfte aus Drittstaaten gekommen, aber zugleich haben 20.000 Deutschland verlassen. Das liege unter anderem an Problemen mit Aufenthaltstiteln, aber auch an Diskriminierungen.
«Deutschland hat mittlerweile ein sehr liberales Einwanderungsgesetz», sagt die Wissenschaftlerin mit Blick auf das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz. «Es muss allerdings viel besser in die Praxis umgesetzt werden.» Bürokratie und Personalmangel auch in Ausländerbehörden seien Barrieren.
Zudem sei ein mentaler Wechsel in so mancher Behörde geboten - «deutlicher weg von restriktiver, ablehnender Haltung hin zu aktivem Willkommen». Es sei mehr Wissen über Rekrutierung im Ausland oder über Beurteilung von ausländischen Qualifikationen nötig. «Es gibt aber auch Erfolgsgeschichten. Vieles läuft extrem gut.» Es würden Arbeitskräfte in fast allen Branchen gesucht - darunter Bau und Handwerk, Pflege- und Gesundheit, Tourismus und auch stark im IT-Bereich.
In gehobenen Berufen ist Diskriminierung weit verbreitet: Gelingende Arbeitsmarktzuwanderung nutzt laut der Studie den Unternehmen, den Migranten und sollte auch «kooperative Einstellungen der einheimischen Bevölkerung gegenüber Migration nachhaltig befördern.» Allerdings: Es gebe Benachteiligung und dabei den Trend, dass Diskriminierung in gehobenen Berufen stärker zuschlage als in Jobs, die mit minderer Qualifikation ausgeübt werden könnten, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der dpa.
«Je mehr es um Zugewanderte in akademischen, gehobenen Berufen geht, desto stärker werden mitunter die Ablehnungserscheinungen», erläutert der Wirtschaftswissenschaftler: «Wo zugewanderte Menschen Lehrerinnen oder Lehrer werden wollen, Professoren oder Richter, beobachten wir, dass es problematisch wird.»
Und: «Interessant ist, dass diese Menschen in der Regel gut integriert sind, sie bringen hohe Qualifikationen mit und performen gut, berichten aber trotzdem häufig über Diskriminierungserfahrungen.» In Befragungen zeige sich immer wieder: «Viele Leute sagen, beispielsweise ein Syrer oder ein Muslim als Kollege ist für sie okay, aber ein Muslim oder Syrer als Chef, Lehrer, Richter oder Bürgermeister wäre für sie ein Problem.»
Diskriminierung spielt eine Rolle und hier gibt es klare Hierarchien: Der IAB-Experte für Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung weiß: «Nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund werden auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, aber Diskriminierung spielt eine Rolle, und es gibt hier klare Hierarchien.» Während etwa Österreicher oder Schweizer wie Deutsche behandelt würden, fange die Skepsis gegenüber südeuropäischen Herkunftsländern oft schon an. «Menschen aus der Türkei, dem Mittleren Osten und Schwarzafrika sind am stärksten von Diskriminierung betroffen, dann nimmt es in Richtung Fernost wieder ab.»
Brücker stellt klar, dass solche Benachteiligungen kein singuläres deutsches Problem sind. Auch in der Schweiz, anderen europäischen Ländern oder den USA gebe es Diskriminierung und Benachteiligungen von bestimmten Migrantengruppen. «Allerdings ist in der Schweiz schon seit vielen Jahren ein hoher Anteil von ausländischen Arbeitskräften tätig. Dort ist es auch normaler, dass Spitzenstellen von Ausländern und Migranten besetzt sind.»
Der 29-jährige IT-Experte, der Deutschland verlässt und nun in Bern Fuß fasst, ist optimistisch: «Ich habe gute Voraussetzungen für einen Neustart, ich werde respektiert bei der Arbeit, hatte gleich mehrere WG-Angebote und werde nicht mehr so angestarrt.»
(Text: Yuriko Wahl-Immel, dpa)
Der Aufstieg: Vor der Krise sah bei dem Batteriekonzern mit Sitz in schwäbischen Ellwangen alles nach Erfolgsgeschichte aus: 2017 brachte Mehrheitseigner Michael Tojner das Unternehmen an die Börse. Mit Erfolg. Getrieben wurde die Entwicklung vor allem von der rasant steigenden Nachfrage nach wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Batterien - zum Beispiel für kabellose Kopfhörer und Smartwatches. 2019 kaufte Varta den Geschäftsbereich Haushaltsbatterien zurück. Innerhalb weniger Jahre vervierfachte sich der Erlös nahezu. Um die Produktion zu erweitern, wurden Millionen investiert - und Schulden aufgenommen.
Erste Risse im Bild: Zu kriseln begann es im Jahr 2022: Varta hatte sich offenkundig zu sehr von einem seiner Hauptkunden - Apple - abhängig gemacht. Das US-Unternehmen hatte die Batterien damals in seinen kabellosen Ohrhörern verbaut. Als sich Apple einen weiteren Zulieferer suchte, geriet das Geschäft unter Druck. Der damalige Varta-Chef Herbert Schein kassierte die Umsatz- und Gewinnziele - und trat wenig später zurück. In der Zeit danach versetzte die weltweite Wirtschaftsflaute und die hohe Inflation der Unterhaltungselektronik einen Schlag, die Nachfrage sank. Hinzu kamen Konkurrenz aus Fernost und Lieferketten-Probleme. Auch ein Ausflug ins Geschäft mit E-Auto-Batterien brachte keinen Erfolg.
Der große Knall: Varta schlitterte in der Folge immer weiter in die Krise. Beschäftigte mussten in Kurzarbeit, später wurden Hunderte Stellen gestrichen. Zu allem Überfluss legte ein Hackerangriff im Frühjahr die Produktion an den deutschen Standorten lahm. Kritiker machen hauptsächlich Managementfehler für die Misere verantwortlich. Auch Tojner gab sich selbstkritisch: «Wir haben die Latte zu hoch gelegt. Wir haben verschiedene Projekte gestartet, groß investiert, die Produktion ausgebaut.» Es sei zu viel Geld zu leichtfertig investiert worden. Bis der Absturz gekommen sei - wegen mangelnder Risikoeinschätzung und Überlastung. Um die Pleite zu verhindern, melde Varta im Juli ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren an.
Das Sanierungskonzept: Im Sommer einigte sich der Konzern mit wichtigen Gläubigern auf ein Sanierungskonzept. Das Konzept sieht im Wesentlichen zwei Schritte vor: Zum einen sollen ein Schuldenschnitt und die Verlängerung von Krediten die Verbindlichkeiten von fast einer halben Milliarde Euro auf 230 Millionen Euro verringern. Außerdem soll das Grundkapital der Varta AG auf null Euro herabgesetzt werden. Der Effekt: Die Aktionäre scheiden ohne Kompensation aus, und der Konzern verliert seine Börsennotierung.
Im Anschluss sollen wieder Aktien ausgegeben werden - allerdings nur an eine Gesellschaft Tojners und den Sportwagenbauer Porsche. Beide lassen sich das jeweils 30 Millionen Euro kosten. Von den Gläubigern kommen 60 Millionen als Darlehen.
Was am 25. November geschah:
Die Sanierung läuft nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) ab. Dieses sieht einen Termin vor, an dem das Sanierungskonzept vorgestellt und mit Gläubigern wie Banken sowie den Aktionären diskutiert wird. Eine Mehrheit der von der Restrukturierung betroffenen Gruppen stimmte im Anschluss für den Plan, wie Varta mitteilte. Einen entsprechenden Planbestätigungsbeschluss des zuständigen Amtsgerichts in Stuttgart erwarte man noch in diesem Jahr. Die weitere Umsetzung der Sanierung erfolge nach Eintritt der Rechtskraft.
Dagegen stimmten wie erwartet die Kleinaktionäre. Denn das Konzept sieht ihre Enteignung vor. In einem StaRUG-Verfahren können nämlich die Interessen der Anleger ausgehebelt werden. Der Varta-Führung zufolge ist der Schritt alternativlos, Aktionärsschützer sehen das anders. Erst am 22. November hatte die Schutzgemeinschaft der Kleinanleger (SdK) eine Klage beim Bundesverfassungsgericht in der Sache eingereicht. Der entschädigungslose Ausschluss des Bezugsrechts bei der Sanierung des Unternehmens verstoße gegen die Eigentumsgarantie, argumentieren sie.
Wie es weitergeht: Varta-Chef Michael Ostermann ging zuletzt davon aus, dass die Sanierung im besten Fall Ende Dezember, wahrscheinlicher aber Ende Januar, beendet werden kann. Dann werden auch die wertlosen Aktien ausgebucht und Varta von der Börse genommen. Dann sollen außerdem Unternehmenszahlen für das Geschäftsjahr 2023 sowie mehrere Quartale 2024 veröffentlicht werden. Abzuwarten bleibt aber, ob die Aktionärsvertreter mit ihrem Widerstand erfolgreich sind. Dadurch könnte sich das Verfahren verzögern.
Die (mögliche) Zukunft: Und wie geht es dann beim Unternehmen weiter? Varta will an allen deutschen Standorten festhalten. Auch an der Mitarbeiterzahl von rund 4.000 dürfte sich wenig ändern. Allerdings soll es Ostermann zufolge eine Verschiebung geben: In der Verwaltung gebe es zu viele Stellen, dort werde abgebaut. In der Produktion würden aber Beschäftigte gesucht.
Im laufenden Jahr musste Varta seine Umsatz-Prognose bereits mehrfach nach unten korrigieren. Aktuell erwarten die Schwaben einen Erlös von 750 bis 800 Millionen Euro. Ostermann gab sich für die Zukunft des Konzerns dennoch vorsichtig optimistisch. «Varta hatte ja kein operatives Problem, sondern ein Schuldenproblem», sagte er. Im Markt für Konsumgüter habe man eine exzellente Positionierung und auch im Hörgerätebereich laufe es gut. Beim Geschäft mit Energiespeichern für Photovoltaikanlagen erwartet Ostermann außerdem in Zukunft wieder Wachstum.
(Text: Julian Weber, dpa)