Hunderte Stellen fallen weg

Mit Werbeslogans wie «Geiz ist geil» oder «Wir können nur billig» haben die Handelsketten Media Markt und Saturn jahrzehntelang den Elektronikhandel dominiert. Doch jetzt wird bei den Handelsriesen selbst der Rotstift angesetzt. Hunderte Stellen in der Verwaltung des Elektronikriesen sollen abgebaut werden, wie der Media-Saturn-Chef Ferran Reverter am gestrigen Dienstag (30. April) ankündigte.
Hunderte Stellen fallen weg
Bild: Armin Weigel/dpa

Der Hintergrund: Der Elektronikhändler Ceconomy mit seinen bekannten Töchtern Media Markt und Saturn steckt in der Krise. Der Handelsriese kämpft aufgrund der Online-Konkurrenz mit sinkenden Umsätzen und wegbrechenden Gewinnen. Der Aktienkurs ist seit der Trennung vom einstigen Mutterkonzern Metro im Sommer 2017 drastisch gefallen.

Doch nun will eine neue Führungsspitze um den seit März amtierenden Ceconomy-Chef Jörn Werner und den Media-Saturn-Chef Reverter den Konzern mit harter Hand wieder auf Erfolgskurs bringen. «Unsere Strukturen sind zu komplex. Viele Prozesse sind zu ineffizient, und es gibt zu viele unklare Verantwortlichkeiten», beschrieb Werner am Dienstag die Probleme aus seiner Sicht. Die Verwaltung sei eindeutig überdimensioniert.

Ein Stellenabbau soll nun Abhilfe schaffen. Der Ceconomy-Chef will die Verwaltungskosten des Konzerns in Deutschland um rund 20 Prozent reduzieren. Das entspricht immerhin Einsparungen von 110 bis 130 Millionen Euro im Jahr. Eine «mittlere dreistellige Zahl von Stellen» werde dafür wohl am Ende wegfallen, sagte Reverter. Der größte Teil des Stellenabbaus werde die Media-Saturn-Zentrale in Ingolstadt und die Marketingabteilung in München treffen, heißt es.

Auch anderswo wird der Rotstift angesetzt. So wird die Streaming-Plattform Juke geschlossen werden. Und auch andere kleine Engagements wie die Beteiligung von MediaSaturn an der Wiederverkaufsplattform Flip4New stehen auf dem Prüfstand. Auch das Management wird nicht verschont: Die Ceconomy-Spitze wird verkleinert und vom 1. Juni an aus nur noch zwei Vorständen bestehen.

Die Kunden sollen allerdings erst einmal möglichst wenig von dem Effizienzsteigerungsprogramm merken. Beide Marken - Media Markt und Saturn - sollen erhalten bleiben, wie Werner betont. Hinter den Kulissen soll aber in Zukunft enger zusammengearbeitet werden. Auch Filialschließungen sind im Zuge des Effizienzsteigerungsprogrammes nicht vorgesehen.

Die Einschnitte seien ein wichtiger erster Schritt, betonte Werner. Bis zum Jahresende will die neue Konzernführung außerdem die strategische Ausrichtung des Elektronikhändlers überarbeiten. «Wir haben unser Potenzial bislang noch nicht vollständig ausgenutzt», betonte Werner. Der Markt habe großes Potenzial weit über das bloße Verkaufen von Elektronik hinaus. Immer mehr Kunden benötigten Hilfe bei dem Umgang mit komplexer Technik auch im eigenen Heim.

Media Markt und Saturn hätten sich in der Vergangenheit viel zu sehr darauf konzentriert, ein möglichst großes Sortiment zum günstigsten Preis anzubieten, dabei aber das Einkaufserlebnis und den Service vernachlässigt. Nun gelte es, alles auf die Bedürfnisse des Kunden auszurichten.

Ceconomy beschäftigt in Deutschland nach eigenen Angaben gut 27 000 Mitarbeiter, einschließlich der Elektronikmärkte. Weltweit beläuft sich die Beschäftigtenzahl auf gut 60 000. (Text: dpa)

Knochenjob Paketbote

Mehr als 3,5 Milliarden Pakete werden in diesem Jahr in Deutschland ausgeliefert - dem boomenden Onlinehandel sei Dank. Für die Paketboten bedeutet das: Pro Stunde müssen sie schon mal ein Dutzend Sendungen zustellen, darunter Kühlschränke, Weihnachtsgeschenke, Bücher, sperrige Klamotten-Pakete. Im Laufschritt hoch in den vierten Stock, klingeln, abgeben, Unterschrift, weiter. Paketbote ist ein Knochenjob - mit häufig schlechter Bezahlung. Da wundert es kaum, dass manche Zusteller in der Eile Abholzettel hinterlassen mit Notizen wie: Paket abgegeben bei «irgendein Nachbar».
Knochenjob Paketbote
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Weil der Markt für Paketdienste stark wächst, müssen immer häufiger Fahrer aus Süd- und Osteuropa aushelfen, oft schlecht bezahlt und nicht ordnungsgemäß versichert. Genau dagegen will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) jetzt vorgehen. Doch er riskiert Streit in der Bundesregierung.

Was ist das Problem? Firmen wie DHL, DPD, UPS, Hermes und GLS machen gerade gute Geschäfte - andererseits finden sie bei den niedrigen Löhnen auch kaum Fahrer. «Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt», sagte Hermes-Deutschland-Chef Olaf Schabirosky im Dezember. Einige Anbieter lagern die Zustellung an Subunternehmer aus, die dann Fahrer aus dem Ausland - aus der Ukraine, aus Moldawien, aus Weißrussland - anheuern. Für diese bezahlen sie nach Gewerkschaftsangaben zufolge teilweise keine Sozialbeiträge. Schlechte Bezahlung, sagt Arbeitsminister Heil, sei eine Sache - aber dass dann auch noch der soziale Schutz ausgehebelt werde, könne er nicht hinnehmen. «Es zerbricht der soziale Frieden in unserem Land, wenn man solcher Missentwicklung tatenlos zuguckt», betont er.

Was will der Arbeitsminister tun? Heil will die großen Paketdienste verpflichten, selbst Sozialabgaben für ihre Subunternehmer zu zahlen, wenn diese beim Mindestlohn betrügen. Eine solche Nachunternehmerhaftung gibt es bereits in der Bau- und in der Fleischbranche. Aus der Arbeitsfassung des Gesetzentwurfs geht hervor, dass jetzt die Paketbranche in Paragraf 28 des Sozialgesetzbuchs IV aufgenommen werden soll. Alternativen gebe es nicht.

Was ändert sich damit für die Unternehmen? Die großen Lieferunternehmen müssen dann kontrollieren, ob ihre Subunternehmer die gesetzlichen Bedingungen einhalten. Das bedeutet einen höheren bürokratischen Aufwand. Umgehen können die Unternehmen die Haftung nur, wenn ihre Subunternehmen vorab besonders geprüft sind. Übrigens setzen nicht alle Paketdienste gleichermaßen auf Subunternehmer: Marktführer DHL lässt nach eigenen Angaben 98 Prozent seiner Pakete durch eigene Zusteller ausliefern, auch UPS beschäftigt viele eigene Boten.

Warum gibt es Streit in der Bundesregierung? Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sorgt sich um die Lieferunternehmen. Angesichts der schwächelnden Konjunktur hatte er vorgeschlagen, Maßnahmen aufzuschieben, die die Wirtschaft belasten könnten. «Deshalb kommt die Debatte, die Herr Heil ohne vorherige Absprache losgetreten hat, zur Unzeit», betonte er.

Wer setzt sich durch? Das ist offen. Nicht alle in der CDU stehen auf Altmaiers Seite, so hat NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann zusammen mit Niedersachsen und Bremen selbst eine entsprechende Bundesratsinitiative angeschoben. «Ich freue mich, dass nun Bundesarbeitsminister Heil dieser Forderung nachkommen will», sagt er nun. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dagegen ist skeptisch: «Aus meiner Sicht sind wir noch nicht an dem Punkt angekommen, die Nachunternehmerhaftung auch für diese Branche durchzusetzen», sagte sie neulich im Bundestag. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) setzt auf einen Kompromiss.

Sind die Arbeitsbedingungen der Paketboten wirklich so schlecht? «Es gibt erhebliche Belege für massiven Missbrauch, also Schwarzgeldzahlungen und Sozialversicherungsbetrug durch Subunternehmer-Konstruktionen», sagt Heil. Laut Verdi-Chef Frank Bsirske werden Stundenlöhne von 4,50 Euro oder 6 Euro gezahlt bei Arbeitszeiten von 12 oder sogar 16 Stunden pro Tag. Tatsächlich gab es nach einer bundesweiten Zoll-Razzia Hinweise, dass jeder sechste Arbeitsplatz mindestens fragwürdig ist. Außerdem ist das mittlere Bruttomonatsentgelt der Zusteller in den vergangenen zehn Jahren um 13,3 Prozent auf 2478 Euro gesunken. In der Gesamtwirtschaft stiegen die Löhne im gleichen Zeitraum um 23,7 Prozent.

Was sagen die Paketdienste? Sie weisen den Vorwurf zurück, die Löhne durch den Einsatz der Subunternehmer bewusst zu drücken. Der Bundesverband Paket & Expresslogistik erklärte, die Unternehmen verpflichteten ihre Vertragspartner zur Zahlung des Mindestlohns und zur Aufzeichnung der Arbeitszeit. Der BDA mahnte, der Staat dürfe seine eigene Aufgabe, die Überwachung des Mindestlohns, nicht einfach auf die Unternehmen abwälzen. Diese hätten kaum Möglichkeiten, Rechtsverstöße bei einem Vertragspartner auszuschließen und gingen deshalb unverhältnismäßig hohe Haftungsrisiken ein.

Werden Pakete nach der Gesetzesänderung teurer? Damit müssen Verbraucher ohnehin rechnen. «Generell müssen sich die Kunden auf steigende Paketpreise einstellen», sagte Post-Chef Frank Appel der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung». Man wolle keinen Niedriglohnwettbewerb, müsse Lohn- und Kostensteigerungen deshalb an die Kunden weitergeben. «Ich vermute auch, dass sich unsere Wettbewerber daran orientieren», sagte Appel. Die Post-Tochter DHL ist mit einem Marktanteil von mehr als 45 Prozent bundesweit der größte Paketdienst. (Text: dpa)

Deutsche Bank und Commerzbank beerdigen Fusionspläne

Am Ende überwog die Skepsis: Deutsche Bank und Commerzbank haben eine mögliche Fusion abgesagt. «Es war sinnvoll, diese Option einer innerdeutschen Konsolidierung zu prüfen», erklärten die beiden Konzerne am 25. April in gleichlautenden Mitteilungen. Nach «gründlicher Analyse» in den knapp sechswöchigen Gesprächen seien die Vorstände jedoch zu dem Schluss gekommen, dass ein Zusammenschluss «keinen ausreichenden Mehrwert bieten würde».
Deutsche Bank und Commerzbank beerdigen Fusionspläne
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Die beiden Konzernchefs Christian Sewing (Deutsche Bank) und Martin Zielke (Commerzbank) begründeten die Entscheidung mit «Umsetzungsrisiken, Restrukturierungskosten und Kapitalanforderungen, die mit einer solch großen Integration» einhergegangen wären.

Kritiker einer Fusion hatten von Anfang an vor allem einen gewaltigen Stellenabbau und mögliche Filialschließungen als Argumente gegen die Banken-Hochzeit ins Feld geführt. 30 000 Jobs hätte ein solcher Zusammenschluss gekostet - so die Befürchtung der Gewerkschaft Verdi. Zudem haben beide Institute zehn Jahre nach der Finanzkrise noch große Baustellen, etwa in der IT oder bei juristischen Altlasten.

Die Deutsche Bank müht sich seit Jahren, an frühere Milliardengewinne anzuknüpfen und schaffte 2018 nach drei Verlustjahren in Folge gerade so die Rückkehr in die schwarzen Zahlen. Skandale und Prozesse verschlangen über Jahre Milliarden, der Aktienkurs ist im Keller.

Immerhin: Das erste Quartal 2019 verlief für die Deutsche Bank nicht so schlecht wie von Marktbeobachtern befürchtet. Der Gewinn nach Steuern belaufe sich voraussichtlich auf rund 200 Millionen Euro, erklärte der Dax-Konzern am Donnerstag. Dabei federte die Bank einen Einbruch ihrer Einnahmen durch Einsparungen ab. Ein Jahr zuvor hatte die Bank 120 Millionen Euro verdient. Analysten hatten im Schnitt für das erste Quartal 2019 einen Rückgang auf 55 Millionen Euro erwartet.

Sewing zog eine zuversichtliche Zwischenbilanz: Schon jetzt ergebe sich «ein Gesamtbild, das viele nach dem schwachen Jahresstart nicht für möglich gehalten hätten.» Die Marktbedingungen hätten sich «gegen Ende des Quartals spürbar verbessert».

Die Commerzbank stieg im vergangenen Herbst in die zweite Börsenliga ab und ist ebenfalls seit Jahren im Umbruch. Bei der Bilanzvorlage musste der Vorstand einräumen, dass das zehn Jahre nach der Finanzkrise noch immer teilverstaatlichte Institut bei der Senkung seiner Kosten noch nicht am Ziel ist. Zudem zeichnet sich ab, dass die Bank entgegen der Planung auch 2020 noch wesentlich mehr Geld für einen Euro Gewinn aufwenden muss als mancher Konkurrent - etwa die bei Privatkunden in Deutschland äußerst erfolgreiche Direktbank ING.

Aufseher mahnten Deutsche Bank und Commerzbank nach dem Aus der Fusionsgespräche zu einer Fortsetzung ihres Umbaukurses. «Wir gehen davon aus, dass beide Banken ihre bereits eingeschlagenen Restrukturierungsanstrengungen, die erste positive Ergebnisse zeigen, konsequent weiterverfolgen», ließ der für Banken- und Finanzaufsicht zuständige Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling mitteilen. Aktuell erfüllten beide Institute «die aufsichtlichen Anforderungen an eine solide und stabile Bank. Das galt vor und während der Gespräche und ist auch jetzt uneingeschränkt der Fall», betonte Wuermeling.

Führende Politiker wünschen sich schon lange einen «nationalen Champion» auf dem deutschen Bankenmarkt - ein international wettbewerbsfähiges Institut, das mit den großen Banken aus den USA und China dauerhaft mithalten kann. «Die global agierende deutsche Industrie braucht konkurrenzfähige Kreditinstitute, die sie in aller Welt begleiten können», bekräftigte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag. Engere Kooperationen machten aber nur Sinn, «wenn sie sich betriebswirtschaftlich rechnen und auf ein belastbares Geschäftsmodell zusteuern», sagte der Minister.

Seit dem vergangenen Sommer werben Scholz und sein Staatssekretär, der ehemalige Goldman-Sachs-Deutschlandchef Jörg Kukies, für starke deutsche Banken. Bei der Commerzbank hat der Bund Mitspracherecht: Nach einer Rettungsaktion mit Steuermilliarden in der Finanzkrise ist der Staat mit gut 15 Prozent größter Anteilseigner des Instituts. Kukies traf sich in den vergangenen Monaten zudem mehrmals mit führenden Vertretern der Deutschen Bank. Dass die am 17. März öffentlich gemachten Fusionsgespräche auf politischen Druck hin zustande kamen, bestritten die Institute jedoch.

Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Hans-Walter Peters, nannte die Entscheidung zur Beendigung der Fusionsgespräche nachvollziehbar: «Die deutsche Wirtschaft ist stark genug, um mehreren Großbanken Platz zu bieten. Eine Fusion wäre in der momentanen Situation ökonomisch nicht sinnvoll.»
(Text: dpa)

Wegen psychischer Krankheit berufsunfähig

Burnout, Depression, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen sind nach einer neuen Studie der Swiss Life die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit in Deutschland. Laut einer Analyse der Versicherung ist eine psychische Erkrankung bei weit über einem Drittel - 37 Prozent der Fälle - Ursache des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsleben.
Wegen psychischer Krankheit berufsunfähig
Bild: dpa

«Allein in den letzten zehn Jahren registrieren wir in diesem Segment eine Zunahme um 40 Prozent», sagte Amar Banerjee, Leiter der Versicherungsproduktion von Swiss Life Deutschland in Garching bei München. Damit einhergehen dürfte nach Einschätzung des Unternehmens die Zunahme von Stress, Leistungsdruck und mangelndem Ausgleich im Arbeitsleben.

Der Versicherer wertete die Daten seiner Kunden aus. Nach psychischen Erkrankungen folgen Krankheiten des Bewegungsapparats mit 24 Prozent vor Unfällen mit knapp 14 Prozent. Die Swiss Life hat nach eigenen Angaben bei Berufsunfähigkeitsversicherungen einen Marktanteil von über sieben Prozent auf dem deutschen Markt, absolute Zahlen nannte das Unternehmen nicht.

Die Analyse deckt sich aber mit Zahlen der Rentenversicherung des Bundes in Berlin. Frauen sind offensichtlich sehr viel gefährdeter als Männer: Bei Frauen gehen laut der Swiss-Life-Studie 44 Prozent der Berufsunfähigkeiten auf eine psychische Erkrankung zurück, bei Männern sind es lediglich 28 Prozent. Außerdem werden Frauen häufiger bereits in jungen Jahren psychisch krank, bei Männern treten diese Diagnosen erst in der zweiten Lebenshälfte vermehrt auf.

Besonders deutlich wird der Trend im Langfristvergleich: Die gesetzliche Rentenversicherung des Bundes zahlte 1983 weniger als zehn Prozent der Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Störungen, 2017 war es bereits fast die Hälfte - 41 186 von 83 583 Fällen.

Auch die Rentenversicherung registriert in den vergangenen zehn Jahren eine besonders starke Zunahme psychischer Erkrankungen: 2018 wurden über 170 000 stationäre Rehabilitationen wegen psychischer Krankheiten bewilligt, über 50 000 mehr als zehn Jahre zuvor. Auch das entspricht einem Anstieg von 40 Prozent.

Die Fachleute der Rentenversicherung gehen aber nicht davon aus, dass die Bundesbürger heute häufiger psychisch krank werden als in früheren Jahrzehnten - sondern lediglich davon, dass Depressionen, Burnout und andere Leiden heute besser erkannt und damit häufiger diagnostiziert werden.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte von der Bundesregierung konkrete Schritte, um Beschäftigte besser zu schützen. Sie solle eine «Anti-Stress-Verordnung» auf den Weg bringen, erklärte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. «Die Betriebe brauchen eine Richtschnur für einen besseren Schutz der Arbeitnehmer vor psychischen Belastungen.»
(Text: dpa)

Bei Gebäudereinigern droht neuer Tarifkonflikt

Im Gebäudereiniger-Handwerk mit mehr als 700 000 Beschäftigten droht ein neuer Tarifkonflikt unter anderem um Überstunden und Weihnachtsgeld. Der Bundesinnungsverband hat als Arbeitgeber den seit über sieben Jahren gültigen Rahmentarifvertrag am gestrigen Donnerstag (25. April) gekündigt und die IG Bauen Agrar Umwelt zu Verhandlungen aufgefordert, die «so schnell wie möglich» beginnen sollten. Die Friedenspflicht endet zum 31. Juli.
Bei Gebäudereinigern droht neuer Tarifkonflikt
Bild: dpa

Als Grund nannte Geschäftsführer Johannes Bungert die geänderte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Mehrarbeitszuschlägen, die nun auch an Teilzeitbeschäftigte gezahlt werden müssen. Weil dies gegen den klaren Wortlaut des Tarifvertrags verstoße, sei man nun zur Kündigung gezwungen.

Die BAG-Entscheidung gelte auch für den Tarifvertrag der Gebäudereiniger, sagte IG-BAU-Vorstandsmitglied Ulrike Laux der Deutschen Presse-Agentur. «Jede Überstunde muss mit einem Zuschlag von 25 Prozent bezahlt werden.» Nun sei die Absicht der Arbeitgeber klar: «Sie wollen an die Zuschläge ran - und damit Reinigungskräfte um das bringen, was ihnen zusteht.» Überstunden seien gerade für Teilzeitkräfte an der Tagesordnung.

Auf die Forderung nach schnellen Verhandlungen reagierte Laux reserviert und erinnerte an den vom Innungsverband abgeschmetterten Vorstoß aus dem vergangenen Jahr, den Beschäftigten ein Weihnachtsgeld zu zahlen. Außerdem will die Gewerkschaft Boni für Branchentreue und passendere Eingruppierungen der Fachkräfte erreichen. Man werde diese und weitere Themen auf die Verhandlungsordnung setzen. «Wir stellen uns auf einen Tarifkonflikt ab dem 1. August ein.»
(Text: dpa)

Nach Aus für Fujitsu-Computerwerk bleiben 350 Stellen erhalten

Nach dem geplanten Ende für das letzten Computerwerk Europas, bei Fujitsu in Augsburg, sollen 350 Arbeitsplätze erhalten bleiben - deutlich mehr als zunächst geplant. Die Rechner-Produktion soll im Herbst 2020 eingestellt, dann aber ein neuer Standort im Raum Augsburg gegründet werden, hieß es am gestrigen Dienstag (23. April) aus Kreisen des japanischen Technologiekonzerns. Von dort aus werde mit rund 350 Mitarbeitern vor allem die technische Unterstützung für Firmenkunden fortgeführt. Zuvor hatte die «Augsburger Allgemeine» darüber berichtet.
Nach Aus für Fujitsu-Computerwerk bleiben 350 Stellen erhalten
Bild: dpa

«Dass nun 350 Arbeitsplätze gerettet werden können, anstatt der zuvor angekündigten 150, ist mir als Betriebsrat sehr wichtig», sagte der Betriebsratsvorsitzende Peter Wagner am Dienstag auf Anfrage.
Aus Unternehmenskreisen verlautete zudem, es gebe Interessenten an der Produktion. In Augsburg werden bislang Computer und die dafür notwendigen Bauteile hergestellt. Die Fertigung soll bis Ende September 2020 vollständig eingestellt und nach Japan verlagert werden. Rund 1450 Menschen arbeiten an dem bayerischen Standort. Sollte es zu einer Einigung mit den Kaufinteressenten kommen, könnten zusätzlich Stellen im dreistelligen Bereich erhalten werden, hieß es.
Neben Augsburg sind von der Schließung rund 350 weitere Arbeitsplätze an anderen deutschen Standorten betroffen. Für alle Betroffenen sei unter anderem eine Transfergesellschaft gegründet worden. «Sehr froh» sei er über diese Regelung, sagte Wagner. «Als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes gibt es Abfindungsleistungen nach den Regelungen des vereinbarten Sozialplans», teilte das Unternehmen mit. Auch über Altersteilzeitregelungen sollen die Auswirkungen für die Mitarbeiter abgeschwächt werden. (Text: dpa)

Zahl der Leiharbeiter im vergangenen Jahr gesunken

Die Zahl der Leiharbeiter in Deutschland ist im vergangenen Jahr gesunken. Ende 2018 waren 773 000 Menschen in der Branche tätig und damit rund 94 000 weniger als im Jahr zuvor, wie aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Gleichzeitig nahm die Zahl der Arbeitslosenmeldungen aus der Zeitarbeit um 11 000 zu. Die Zahl der gemeldeten Stellen aus diesem Bereich geht zurück.
Zahl der Leiharbeiter im vergangenen Jahr gesunken
Bild: dpa

Der Anteil von Zeitarbeitern an der Gesamtbeschäftigung lag Ende vergangenen Jahres laut BA bei knapp drei Prozent. Die meisten Leiharbeiter sind in der Produktion beschäftigt, gefolgt von einer ganzen Reihe an Dienstleistungsberufen in der Wirtschaft wie der Verwaltung sowie dem Gastgewerbe und der Pflege.

Die Zeitarbeitsbranche gilt als Frühindikator für wirtschaftliche Entwicklungen, weil sie eine sinkende oder steigende Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt schnell zu spüren bekommt. Dass das konjunkturelle Umfeld eine ganz entscheidende Rolle spiele, zeige sich gerade in der Automobilbranche, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP), Thomas Hetz. Gerade in diesem Bereich sei die Zeitarbeit rückläufig.

Die deutsche Autoindustrie kämpft aktuell mit Absatzschwierigkeiten in China und Unsicherheiten durch den geplanten Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit). Auch der Handelsstreit zwischen den USA und China drückt auf die Stimmung. Zudem belasten hohe Investitionen in die Umstellung auf Elektroautos. Die Branche reagiert daher mit Stellenstreichungen und Sparprogrammen. Das bekommen Leiharbeiter oft als Erste zu spüren.

Daimler etwa hat zuletzt wegen Umbauarbeiten im Zuge der E-Mobilität im Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim eine Zahl von Leiharbeitern abbestellt. Medien berichten von 900. Die Zahl bestätigen wollte Daimler nicht. Ein Sprecher sagte aber, man habe seit 2005 rund 9000 Leiharbeiter fest eingestellt.

Doch auch Gesetzesänderungen beeinflussen Experten zufolge die Branche. So dürfen Zeitarbeiter seit April 2017 in der Regel nicht mehr länger als 18 Monate in einem Betrieb beschäftigt werden. Außerdem haben sie nach neun Monaten Anspruch auf gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaft.

«Die Stimmung in unserer Branche hat sich schon zum Jahresbeginn 2018 eingetrübt», sagte Unternehmerin Ingrid Hofmann, die auch im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit sitzt. Neben der schwächelnden Konjunktur ist nach Ansicht der Inhaberin und Leiterin der Zeitarbeitsfirma Hofmann Personal in Nürnberg auch die Gesetzesänderung vor rund zwei Jahren dafür verantwortlich. Was überwiege, sei schwer zu sagen. Bei der Umsetzung der Novelle gebe es immer noch Unsicherheiten. Der administrative Aufwand habe sich deutlich erhöht. Eine Evaluation sei erst 2020 geplant.

Zeitarbeit soll Betrieben auf der einen Seite die Flexibilität ermöglichen, kurzfristig Personal aufzustocken. Auf der anderen Seite soll sie vor allem Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten die Chance bieten, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Beschäftigungsform steht aber in der Kritik, weil Leiharbeiter oft unter schlechteren Bedingungen und für weniger Geld arbeiten. (Text: dpa)

Abbau von mehr als 1000 Stellen?

Bei der Augsburger Airbus-Tochter Premium Aerotec werden weitere Stellenstreichungen geprüft. Eine Sprecherin des Unternehmens sagte am 12. April, dass davon mittelfristig 1100 der aktuell rund 3600 Mitarbeiter in Augsburg betroffen sein könnten. Nach Angaben der IG Metall wurde auf einer Betriebsversammlung angekündigt, dass bis 2023 mehr als 1000 Stellen abgebaut würden. Zuvor hatten mehrere Medien über einen Jobabbau bis zu dieser Höhe in den kommenden Jahren berichtet.
Abbau von mehr als 1000 Stellen?
Bild: Stefan Puchner/dpa

Der Unternehmenssprecherin zufolge wurde ein Restrukturierungsplan entwickelt, um eine langfristige Perspektive für Premium Aerotec zu entwickeln. Um Kosten zu reduzieren, sei auch der sozialverträgliche Abbau von Stellen möglich.
Vor einem Jahr war angekündigt worden, dass rund 500 Zeitarbeiter gehen sollen. Ende Dezember kam es dann zu einem Großbrand in dem Augsburger Werk. Wenige Wochen später wurde von Airbus das Aus des A380 verkündet, für den auch Premium Aerotec Teile produziert.
Premium Aerotec hat rund 10 000 Mitarbeiter. Der Hersteller liefert für zivile und militärische Flugzeuge Komponenten aus Aluminium, Titan und Carbon. In Deutschland hat der Airbus-Zulieferer vier weitere Werke: in Bremen, Hamburg, Nordenham und Varel. Daneben gibt es eine Fabrik in Rumänien.

Aufpasser in gefährlicher Mission

Wenn Florian nach Feierabend in der U-Bahn steht, wandern seine Blicke über die Körper der Fahrgäste. Scannen nennt der 41-Jährige das. Wirkt jemand nervös? Hat einer auffällig eine Hand in der Tasche? Zieht der gleich ein Messer raus? So ganz abschalten kann der Polizist vom Personenschutz des bayerischen Landeskriminalamts auch nach der Arbeit nicht. Zu tief eingebrannt sind die Abläufe in seinem Kopf, wenn auf einmal jemand angreift.
Aufpasser in gefährlicher Mission
Bild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Zusammen mit Norbert, 35, beschützt er Spitzenpolitiker in Bayern. Sie müssen jederzeit blitzschnell reagieren können. Überall können Gefahren lauern. Inmitten von Tausenden Besoffenen im Bierzelt genauso wie im Altenheim in der Provinz. Grapscher, die unbedingt mal einen Politiker berühren wollen, Autogrammjäger, fliegende Eier. Zum ersten Mal in der Geschichte des bayerischen Landeskriminalamts gibt das Dezernat 43 tiefe Einblicke in die Arbeit des Personenschutzes.

Außer ihrer sportlich-muskulösen Statur, ihren gegelten Haaren und ihrem bayerischen Akzent haben die Männer äußerlich wenig gemeinsam. Florian kommt eher wie ein Naturbursche daher, groß gewachsen, braune Haare, Bart. Norberts blonde Haare sind akkurat zur Seite gegelt, sein Gesicht ist glatt rasiert. Er wirkt neben Florian beinahe klein, aber nicht weniger taff.

Die beiden ungleichen Männer verstehen sich allein mit Blicken. Sie müssen, wenn der Ernstfall eintritt, nicht einmal miteinander sprechen. Diesen Ernstfall üben sie mindestens ein Mal in der Woche - an diesem Tag auf Matten in einer Sporthalle der Polizei in München. Fotos sind erlaubt, aber erkennbar sein möchten die Männer nicht - zu ihrer eigenen Sicherheit.

ÜBUNG FÜR DEN ERNSTFALL: Mit verschlossenen Augen stehen Florian und Norbert neben ihrem Politiker. Ein anderer Personenschützer hat heute diese Rolle übernommen. Er trägt einen alten, grauen Anzug. Plötzlich brüllt ein Ausbilder mit einem Gummimesser in der Hand «Angriff!». Er attackiert und verletzt den Mann im Anzug.

Norbert zieht instinktiv seine schwarz-rote Plastikwaffe, schreit «Schuss, Schuss, Schuss!». Florian stellt sich erst schützend vor den Anzugträger. Dann packt er ihn am Oberkörper und schleift den Verletzten einige Meter nach hinten. Vom niedergeschossenen Angreifer geht keine Gefahr mehr aus, der Ausbilder krümmt sich schreiend am Boden. Keine zehn Sekunden nach dem Angriff sind Florian und Norbert damit beschäftigt, die Stichverletzung am Arm ihres Schützlings zu versorgen.

Das alles passiert unter den Blicken eines ausgebildeten Rettungssanitäters und früheren Beamten eines Spezialeinsatzkommandos, der auch zu den Personenschützern gehört. Am Ende gibt es Lob von ihm: Die Männer hätten die Wunde vorbildlich erstversorgt und den Angreifer gut ausgeschaltet. «Es geht nicht darum, den Täter festzunehmen, sondern die Schutzperson zu schützen und so schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich zu bringen», sagt Joachim Huber, Leiter vom Dezernat 43.

Unter staatlichem Personenschutz stehen deutschlandweit einige Dutzend Spitzenpolitiker. Es sind Männer und Frauen auf Bundes- und Landesebene. Polizisten bewachen zudem etwa ausländische Staatsgäste und Würdenträger jüdischer Gemeinden. Namen und Zahlen sind gut gehütete Geheimnisse - aus Sicherheitsgründen, heißt es beim Bundeskriminalamt, kurz BKA, in Wiesbaden.

Bekannt ist, dass Kommissare des BKA beispielsweise auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerin Angela Merkel und den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble aufpassen. In den Ländern werden in der Regel die Ministerpräsidenten, deren Stellvertreter und die Innenminister von den Landeskriminalämtern oder den Landespolizeien beschützt. Beamte der Bundespolizei haben außerdem ein wachsames Auge auf Mitarbeiter deutscher Botschaften im Ausland.

ZAHL DER PERSONENSCHÜTZER STEIGT: Auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Benjamin Strasser hat das Innenministerium vor einigen Monaten zumindest einige Zahlen zum Personal offengelegt: Demnach waren im Oktober 2018 beim BKA 503 Beamte mit dem Personenschutz beschäftigt. Fünf Jahre zuvor lag ihre Zahl noch niedriger, nämlich bei 473. Bei der Bundespolizei zählen nach jüngsten Erhebungen 109 Beamte zu den Bewachern. Hier gab es einen Sprung nach oben: Fünf Jahre zuvor waren es noch 65. Diese Angaben lassen den Schluss zu, dass die Gruppe der Menschen, die Schutz vom Bundeskriminalamt und der Bundespolizei brauchen, zuletzt größer geworden ist.

Wer Polizisten zum persönlichen Schutz zur Seite gestellt bekommt, entscheiden die Behörden in einer sogenannten Gefährdungsbewertung. In Bayern gibt es dafür eine eigene Stelle im Landeskriminalamt. Bevor beispielsweise ein Staatsgast anreist, wird bei verschiedenen Sicherheitsdienststellen wie BKA und Nachrichtendiensten abgefragt, wie gefährdet der Besucher ist. Dann legt das Innenministerium zum Beispiel fest, ob der Gast in einem gepanzerten Auto chauffiert wird und wie viele Personenschützer ihn begleiten.

In Filmen kommen solche Bodyguards häufig muskelbepackt und braun gebrannt daher. Oft verdeckt eine Sonnenbrille die Augen. An ihrem Promi sind sie ganz nah dran. Mit der Realität habe das aber wenig zu tun, betont Markus Weidenauer von der Seccon Group in München.

FIRMEN BIETEN PRIVATEN PERSONENSCHUTZ: Sein Unternehmen tut etwas Ähnliches wie die staatlichen Aufpasser - aber gegen Geld und von den Schutzsuchenden selbst angeheuert. Weidenauers Personenschützer betreuen vor allem mittelständische Familienunternehmer. Es gebe aber Menschen, die in der Branche arbeiten wollten, weil sie die Kino-Klischees im Kopf hätten: «Es gibt Leute, die wollen Personenschutz machen, weil sie einen Geltungsdrang haben, der dem Klischee entspricht: immer am roten Teppich, immer mit Sonnenbrille, immer mit Schlauch im Ohr, Blitzlichtgewitter», sagt Weidenauer.

Seine Mitarbeiter bewegen sich jedoch in einem sensiblen Umfeld. Sie schützen schwerreiche Unternehmer, deren Frauen und Kinder. Sie sind dabei gar nicht ständig hinter ihnen her. «Bei uns laufen Maßnahmen wesentlich konspirativer ab als bei der Polizei», erläutert Weidenauer. In neun von zehn Fällen bekämen Außenstehende gar nicht mit, wenn jemand Personenschutz habe. «Die Kunden wollen nicht, dass im Alltag jemand in ihrer unmittelbaren Nähe rumläuft.» In aller Regel lasse das die Gefährdungssituation auch nicht zu.

VIELE KUNDEN WOLLEN DISKRETION: Weidenauers Personenschützer sorgen dafür, dass der Arbeitsplatz, das Haus, ebenso wie der Tennis- oder Golfclub sicher für den Klienten sind. «Aufklärungsmaßnahmen» nennt der Unternehmer das, ohne ins Detail zu gehen. Seine Leute begleiten auch die jungen Erben der reichen Kundschaft, etwa zur Schule. «Wir schauen, ob es Leute entlang des Schulwegs gibt, die immer wieder auftauchen oder Fotos machen», sagt der 45-Jährige.

Viele seiner Kunden wurden noch gar nicht von Personenschützern begleitet. Sie bezahlen Weidenauer aber für den Fall der Fälle. Sein Unternehmen erstellt für potenziell gefährdete Familien innerhalb von ein bis zwei Monaten ein Sicherheitskonzept, das regelmäßig aktualisiert wird. Sollte die Kundschaft in Gefahr geraten, greift das Konzept.

Einer der bekanntesten Bodyguards in Deutschland ist Michael Kuhr. Auf der Internetseite seines Unternehmens wirbt er mit zahlreichen Bildern, die ihn mit strengem Blick am roten Teppich neben Schauspielern und Sängern zeigen. Kuhr bedient bewusst das Bodyguard-Klischee, differenziert aber: «Ich habe viele Fotos mit Promis, würde aber nie sagen, dass ich für die Personenschutz gemacht habe.» Die meisten hätten Begleitschutz, für den es viel weniger Personal und Vorbereitung brauche als beim Personenschutz.

«MIR WURDE DAS ZU VIEL»: Kuhr weiß, wovon er spricht. «Ich kam selbst in den Genuss des polizeilichen Personenschutzes. Ich stand auf der Abschussliste», berichtet der 57-Jährige. Einer der Chefs einer arabischstämmigen Berliner Großfamilie habe ihn «mit einer Maschinenpistole» töten wollen - das Landeskriminalamt der Hauptstadt habe dafür Hinweise gehabt. Hintergrund war wohl Kuhrs Aussage im Prozess nach einem Überfall auf ein Berliner Pokerturnier im Jahr 2010.

Nach wenigen Monaten hat Kuhr, wie er erzählt, auf den polizeilichen Personenschutz verzichtet. «Mir wurde das zu viel. Eine Privatsphäre gibt es so gut wie gar nicht mehr», sagt er. Außerdem sei er Geschäftsmann. Er führt seit Jahren eine Sicherheitsfirma in Berlin, bietet vor allem den Schutz von Veranstaltungen, Gebäuden und Menschen an. «Da macht es keinen guten Eindruck, wenn der Chef selbst unter Beschuss steht und dauerhaft Polizisten an einem dran sind.»

LKA-LEUTE BRAUCHEN AUTORITÄT: Immer nah dran zu sein an ihrem Schützling, das gehört für die LKA-Personenschützer Florian und Norbert zum Arbeitsalltag. Die meiste Zeit geht es darum, aufdringliche Leute von den Beschützten fernzuhalten. «Umarmer und Händeschüttler sind das normale Tagesgeschäft», sagt Florian.

Dann gebe es auch Stalker, die ständig Autogramme haben wollten. Und Leute, die unbedingt neben einem Politiker auf Bildern im Fernsehen oder Fotos in Zeitungen zu sehen sein wollten. «Ich spreche die höflich an», sagt Norbert. Oft reiche das. «Natürliche Autorität ist da ganz wichtig», meint Norbert.

All das wird zur Routine. Gerade das Unvorhersehbare jedoch macht für die beiden Polizisten ihren Job so spannend. Ganz plötzlich hallt ein ohrenbetäubender Knall durch ein Treppenhaus. Die Wände sind von Ruß schwarz, Licht dringt von außen kaum rein. Wieder eine Übung. Es riecht nach kaltem Rauch. Während der Knall verhallt, kommt Getrampel auf: Florian und Norbert hechten die Treppe hoch. «Bewahren Sie Ruhe, Herr Maier! Wir haben alles im Griff», ruft Norbert dem Mann zu, den er am Arm führt.

RETTUNG BEI FEUERALARM: Über eine Leiter an einem Fenster bringen die Beamten ihren Schützling nach und nach auf sicheren Boden außerhalb des Gebäudes. Diesmal sind die LKA-Leute in der Brandsimulationsanlage der Berufsfeuerwehr München unterwegs.

Das Szenario: Eine Explosion in einem Hotel führt zu einem Brand. Der verletzte Politiker muss schnellstens aus dem Gebäude geführt werden. Er bricht kurz danach zusammen, muss wiederbelebt werden. Auch hier ernten die Polizisten Lob - diesmal von einem Ausbilder der Feuerwehr.

Einmal in der Woche gehen die Personenschützer an den Schießstand. Im Keller eines Polizeireviers in München stehen Florian und Norbert in einem länglichen Raum. Die Wände und die Decke sind mit Holzlamellen ausgekleidet. Die Männer und Frauen, die heute üben, tragen Ohrschützer, die sie Micky Mäuse nennen.

TRAINING MIT DER WAFFE: Ein Beamer projiziert Ziele an die Wand, die Polizisten feuern im Sekundentakt aus ihren Waffen Kugeln in die Wand. Immer wieder ziehen sie ihre Pistolen aus dem Holster, feuern, lassen die leeren Magazine auf den Boden fallen und laden nach. «Wir zielen nicht mehr», sagt ein Personenschützer. «Man könnte das Licht ausmachen, und wir würden treffen», sagt ein anderer.

Ihre Waffe im Ernstfall ziehen mussten Florian und Norbert als Bodyguards noch nie. «Zum Glück», sagen sie. Das dürfte auch Florians Frau beruhigen. Sie macht sich Sorgen, wenn er im Dienst ist. Das gibt der Vater von zwei kleinen Kindern offen zu. «Es gehört dazu, dass es eine gewisse Klientel gibt, die man zwar eingrenzen kann, aber man nie weiß, was man von ihnen erwarten kann.»

Würden sie im Notfall ihr Leben für das ihrer Schutzperson geben? Ihr Chef, Joachim Huber, antwortet: «Man erwartet vom Beamten schon, dass er sein eigenes Leben aufs Spiel setzt, damit die Schutzperson unverletzt aus der Situation rauskommt.»
(Text: Valentin Gensch/dpa)

Das Bewerbungsanschreiben als Auslaufmodell?

Ein Bewerbungsanschreiben kann eine starre Aneinanderreihung von Floskeln sein. Es kann aber auch eine Tür in ein Unternehmen öffnen. Die Deutsche Bahn entschied sich vor einiger Zeit dazu, bei Azubi-Stellen das Anschreiben zu streichen, um es Bewerbern einfacher zu machen. Bilanz seither? Mehr Bewerbungen, wie es vom Konzern heißt. Der Deutsche Lehrerverband sieht einen Wegfall des Anschreibens dagegen kritisch. In Deutschland hält sich der Klassiker nach wie vor.
Das Bewerbungsanschreiben als Auslaufmodell?
Bild: dpa

Wenn ein Arbeitgeber um eine aussagekräftige Bewerbung bitte, ohne dies weiter einzuschränken, sei das Anschreiben fester Bestandteil der Bewerbung, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit. Zugleich stelle man fest, «dass viele Unternehmen und Betriebe zunehmend auf eine Bewerbung online setzen».

Die Deutsche Bahn (DB) vereinfachte im Oktober die Bewerbung auf Azubi- und duale Studienplätze. Seither müssen Bewerber kein Anschreiben mehr formulieren - und die Bahn verbucht mehr Zulauf. Zwischen November und Ende Januar gab es rund zehn Prozent mehr Bewerbungen für Ausbildungs- und Studienplätze als im Vorjahreszeitraum, teilte der Konzern der Deutschen Presse-Agentur mit.

Von der Bahn heißt es: «Wir führen den deutlichen Anstieg der Bewerbungen für Ausbildungs- und Studienplätze auch auf den Wegfall des Anschreibens zurück. In Informations- und Bewerbungsgesprächen erhalten wir viel positives Feedback von den Kandidaten zu diesem Schritt.»

«Das Anschreiben ist nicht nur für die Bewerber manchmal mühsam, sondern auch für uns in der Regel wenig aussagefähig», sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler. Ein Anschreiben enthalte den Erfahrungen zufolge oft keine zusätzlichen Informationen, die nicht im Lebenslauf stehen. «Und selbst wenn der Text überzeugend geschrieben ist, wissen wir oft nicht, ob Freunde, Eltern oder Google geholfen haben. Der Lebenslauf und vor allem das persönliche Gespräch sind viel besser geeignet, um die Kompetenzen und die Motivation der Bewerber festzustellen», betont Seiler. So fielen auch Talente auf, die man bei einem klassischen Verfahren vielleicht übersehen hätte.

Ein weiteres Unternehmen, das diesen Weg geht: Der Versandhändler Otto. Bereits seit Sommer 2016 ist ein Anschreiben in der Bewerbung nicht mehr nötig, wie es von der Firma heißt. Stattdessen werden online zwei Motivationsfragen gestellt. «Unsere Recruiting-Experten können aus diesen zwei Antworten mehr Schlüsse ziehen, arbeiten sich schneller durch den Bewerbungsprozess und stellen im ersten Gespräch gezieltere Fragen», sagt Otto-Personaldirektorin Sabine Josch.

Anders sieht das der Deutsche Lehrerverband. Er ist gegen eine Abschaffung des Anschreibens. Das Verfassen eines Anschreibens sei sinnvoll, «nicht nur deshalb, um nachzuweisen, dass man so etwas sprachlich bewältigen kann, sondern vor allem deshalb, weil es dem Bewerber die Chance gibt, seine Motivation, seine persönliche Interessenlage und Befähigung individuell auszudrücken und damit sich aus der Masse der Bewerbungen abzuheben», sagt Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger. Das Erstellen von Bewerbungsunterlagen und die Formulierung von Bewerbungsanschreiben seien auch Inhalt der Lehrpläne in Schulen.

Der Autor Jürgen Hesse, der ein Buch über Anschreiben publiziert hat, kommt zu diesem Schluss: «Zweifelsohne hat das Anschreiben eine Bedeutung, aber diese war schon immer ziemlich relativ. Es ist eine Chance zu sagen: Hier bin ich, hier sind meine Unterlagen, ich bin echt motiviert.» Entscheidender seien aber Lebenslauf, Berufsausbildung und letzte Stationen. Hesse geht davon aus, dass sich das Anschreiben weiter als Teil der Bewerbung halten wird. (Text: dpa)

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