Spätestens 2035 kein Arbeitsplatz ohne KI-Anwendungen mehr

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) für Millionen Beschäftigte in Deutschland fördern und politisch gestalten. «Wir werden in Deutschland versuchen, KI auf die Straße zu bringen», sagte Heil am Montagabend ( 4. September) in Berlin. Spätestens 2035 werde es keinen Arbeitsplatz mehr geben, der nichts mit KI-Anwendungen zu tun habe.
Spätestens 2035 kein Arbeitsplatz ohne KI-Anwendungen mehr
Bild: dpa

Heil sagte, spätestens seit der Text-Roboter ChatGPT in aller Munde sei, fragten sich viele Menschen: «Was macht das eigentlich mit meiner Arbeit im Journalismus, am Büro-Arbeitsplatz, in den Verwaltungen?» Aber Arbeit werde nicht ausgehen, sondern sich verändern, sagte Heil. «Gut eingesetzt kann KI dafür sorgen, dass die Arbeitswelt humaner wird, dass sie menschlicher wird, dass wir Arbeitsunfälle verhindern beispielsweise, dass Arbeit gesund ist.»

Allerdings dürfe die Politik die Augen nicht davor verschließen, dass diese Entwicklung missbraucht werden könne, «um beispielsweise Arbeit zu verdichten, Menschen unter Druck zu setzen und total zu überwachen». Wo große Risiken bestünden, brauche es starke Regeln. Gemeinsam mit dem Innenressort werde sein Haus etwa Eckpunkte für den Datenschutz der Beschäftigten vorlegen, kündigte Heil an.

Doch die Erwartungen insgesamt sind bei dem SPD-Politiker positiv. Für Heil geht es zentral darum, «dass wir Vertrauen aufbauen wollen, Künstliche Intelligenz auch einzusetzen». Dies gelte vor allem auch für kleine und mittlere Unternehmen. Ihnen solle KI künftig verstärkt nahegebracht werden.

Zudem solle der Einsatz von KI auch dazu dienen, die Verwaltung effizienter zu gestalten. Als Beispiel nannte Heil, dass die Bundesagentur für Arbeit mit Hilfe von KI Arbeitssuchende und passende offene Stellen besser zusammenbringen könne.

In einer eigenen Abteilung seines Ministeriums, der «Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft», erkunden Expertinnen und Experten künftige zentrale Entwicklungen des Arbeitsmarkts. Dabei nutzen sie selbst KI-Anwendungen, wie Heil bei einer Vorstellung der Abteilung erläuterte. So scannt dort ein Instrument names «Horizon-Scanning» rund 200 Millionen Textquellen, um solche Trends auszumachen.

Auf der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg hatte die Regierung vergangene Woche eine Datenstrategie beschlossen, mit der die Bundesregierung in den kommenden zwei Jahren die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von KI-Anwendungen in der Verwaltung schaffen will.

(Text: dpa)

Rund 3 Millionen Erwerbslose in der «stillen Reserve»

Rund 3 Millionen Erwerbslose in Deutschland wünschen sich eigentlich eine bezahlte Arbeit. Diese Menschen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren stehen aber aus unterschiedlichen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, wie das Statistische Bundesamt am gestrigen Dienstag (5. September) berichtete.
Rund 3 Millionen Erwerbslose in der «stillen Reserve»
Bild: dpa

Die Gruppe wird als «stille Reserve» bezeichnet und machte im vergangenen Jahr rund 16 Prozent aller Nichterwerbspersonen aus. 2021 waren es 3,1 Millionen Menschen gewesen und damit rund 17 Prozent aller Nichterwerbspersonen.

Mit einem Anteil von knapp 57 Prozent sind Frauen in der «stillen Reserve» überrepräsentiert. In der Altersgruppe zwischen 25 und 59 Jahren berichteten mehr als 34 Prozent, dass sie keine Arbeit aufnehmen könnten, weil sie Angehörige betreuen müssten. Bei den gleich alten Männern nannte nur gut jeder 20. (5,6 Prozent) diesen Grund.

Rund 58 Prozent der Betroffenen verfügen über mindestens eine mittlere Qualifikation, haben also eine abgeschlossene Berufsausbildung oder die Hochschul/Fachhochschulreife. Sie sind teils nicht kurzfristig zur Arbeit verfügbar, weil sie beispielsweise Angehörige versorgen müssen. Oder sie suchen gar nicht aktiv nach Arbeit, weil sie glauben, keinen passenden Job finden zu können. Zu diesen beiden Gruppen zählt das Statistikamt nach Auswertung des Mikrozensus 2021 knapp 1,3 Millionen Personen.

Dazu kommt eine dritte, besonders arbeitsmarktferne Gruppe von Menschen, die weder einen Job suchen noch verfügbar sind, in der Mikrozensus-Befragung aber einen generellen Arbeitswunsch geäußert haben. Hier geht es um 1,7 Millionen Menschen, die bis 2021 in Deutschland nicht zur «stillen Reserve» gerechnet wurden.

(Text: dpa)

ver.di begrüßt deutliche Anhebung des Pflegemindestlohns

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die am 29. August veröffentlichte Empfehlung zur Steigerung des Pflegemindestlohns. Die jeweiligen Mindestlöhne für Fachkräfte, einjährig ausgebildete Pflegekräfte sowie für un- und angelernte Pflegehilfskräfte sollen bis 2025 um 12,3 bis 13,8 Prozent steigen.
ver.di begrüßt deutliche Anhebung des Pflegemindestlohns
Bild: dpa

„Angesichts der anhaltend hohen Preissteigerung vor allem für Lebensmittel und Energie ist es gut, dass der Pflegemindestlohn deutlich angehoben wird. Für einen echten Inflationsausgleich gab es in der Pflegekommission aber leider keine Mehrheit“, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Der Mindestlohn sichere eine Untergrenze, die die jahrelang praktizierte Ausbeutung in kommerziellen Pflegeunternehmen verhindere. Deshalb arbeite ver.di in der Pflegekommission mit. „Angesichts des enormen Bedarfs an Arbeitskräften in der ambulanten und stationären Pflege braucht es aber weit mehr als einen Mindestlohn, um die Arbeit attraktiver zu machen. Das geht nur mit guten umfassenden Tarifverträgen, für die sich die Beschäftigten gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft ver.di stark machen.“

Konkret empfiehlt die Pflegekommission, die Stundenlöhne ab Mai 2024 zwischen 6,8 und 9,5 Prozent zu erhöhen. Ab Juli 2025 folgt eine weitere Erhöhung um 3,9 bis 5,1 Prozent. Fachkräfte verdienen dann mindestens 20,50 Euro pro Stunde. Einjährig ausgebildete Beschäftigte erhalten dann 17,35 Euro, un- und angelernte Hilfskräfte 16,10 Euro. Damit verdienen examinierte Pflegekräfte ab Juli 2025 bei einer 39-Stunden-Woche monatlich wenigstens 3.476 Euro, mit einer mindestens einjährigen Ausbildung kommen Beschäftigte auf 2.942 Euro, ohne Ausbildung sind es mindestens 2.730 Euro. Zudem konnte der Urlaubanspruch für Pflegekräfte von mindestens 29 Tage im Jahr gesichert werden.

„Es ist richtig, die Löhne in der ambulanten und stationären Pflege nach unten abzusichern, solange einem Großteil der Beschäftigten vor allem bei kommerziellen Anbietern der Schutz eines Tarifvertrages verweigert wird. Der hohen Verantwortung und Belastung wird das Mindestentgelt allerdings nicht gerecht“, sagte Bühler. „Im Frühjahr haben sich Beschäftigte aus kommunalen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in großer Zahl an Warnstreiks beteiligt und in ver.di organisiert. So haben sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst eine kräftige Lohnerhöhung durchgesetzt. Beruflich Pflegende können sich Respekt verschaffen – auch bei anderen Trägern.“

(Text: ver.di)

Streikende Fahrer in Gräfenhausen hoffen auf Geld und Dominoeffekt

Die seit mehr als sechs Wochen auf der südhessischen Autobahnraststätte Gräfenhausen streikenden Lastwagenfahrer haben am gestrigen Donnerstag (31. August) erstmals Geld erhalten. Allerdings hatte nicht der polnische Speditionsunternehmer eingelenkt, für den die Fahrer Waren durch Europa transportieren.
Streikende Fahrer in Gräfenhausen hoffen auf Geld und Dominoeffekt
Bild: dpa

Ein österreichischer Spediteur, der ebenfalls Teil der Lieferkette war, habe sich entschieden, die für den entsprechenden Transport anfallende Summe in Höhe von 20 000 Euro dem Fahrer direkt zu übergeben, sagte der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema, der von den Fahrern mit der Verhandlungsführung beauftragt wurde.

Er hoffe, damit einen Stein ins Rollen zu bringen, sagte der mittelständische österreichische Unternehmer, der anonym bleiben wollte. Für seinen Kunden sei es höchste Eile, an die durch den Streik blockierten Waren zu kommen. «Da geht es leicht auch um Arbeitsplätze und die Zukunft eines Unternehmens.»

Die Waren wurden auf einen Lastwagen beladen, um nun an den Kunden geliefert werden zu können. Verständnis hatte der österreichische Spediteur aber auch für den Kampf der Trucker. «Man sollte von seiner Arbeit nicht nur überleben können, sondern seinen Familien auch ein gutes, normales Leben ermöglichen können», sagte er.

Die mittlerweile etwa 90 Fahrer aus Georgien, Usbekistan und anderen Ländern streiken, um ausstehende Löhne durchzusetzen. Einige von ihnen wurden seit Monaten nicht bezahlt, ein usbekischer Fahrer gab an, seit mehr als einem Jahr keinen vollständigen Lohn mehr bekommen zu haben. «Wir hoffen, dass das einen Dominoeffekt auslöst», sagte Atema bei einer Streikversammlung in Gräfenhausen.

Angesichts von mehr als 500 000 Euro, die die Fahrer fordern, sei die Summe von 20 000 Euro vielleicht ein kleiner Schritt, «aber strategisch ein wichtiger Schritt», sagte Atema. Er hoffe, dass andere Kunden des Speditionsunternehmens dem Beispiel folgen.

Bereits im Frühjahr hatten mehr als 60 georgische und usbekische Lastwagenfahrer desselben Unternehmens in Gräfenhausen für ausstehende Löhne gestreikt und hatten am Ende eine Zahlung erreicht. Der damalige Streik hatte auch die Arbeitsbedingungen im internationalen Gütertransport in den Fokus gerückt. Wie damals werden die Fahrer auch diesmal von Gewerkschaften, Kirchen und dem Beratungsnetzwerk «Faire Mobilität» unterstützt.

(Text: dpa)

BMW baut in Leipzig Logistikzentrum für Hochvoltbatterien

Der Autohersteller BMW baut in Leipzig ein neues Logistikzentrum für Batterien von Elektro-Autos und will so rund 500 weitere Jobs schaffen. Bis zu 100 Millionen Euro sollen in zwei Bauabschnitten auf einem zwölf Hektar großen Areal investiert werden, teilte das Unternehmen am 25. August zum symbolischen Spatenstich mit.
BMW baut in Leipzig Logistikzentrum für Hochvoltbatterien
Bild: dpa-Zentralbild

Nach Angaben des Unternehmens ist Leipzig eine tragende Säule bei der Versorgung mit E-Komponenten. Jedes dritte Batteriemodul für vollelektrische Fahrzeuge komme im Konzern von dort.

Derzeit würden in Leipzig Batteriezellen lackiert und zu Modulen zusammengebaut. Im kommenden Jahr wird dies um die Montage der Hochvoltspeicher erweitert. Damit wachse die Zahl der Mitarbeiter in diesem Bereich von jetzt mehr als 800 auf dann über 1000. BMW investiere insgesamt bis zu eine Milliarde Euro in den Ausbau der Fertigung von E-Komponenten am Standort Leipzig. Außer BMW produziert auch Porsche in der Messestadt.

(Text: dpa)

DGB-Report: Viele Azubis schlecht auf Digitalisierung vorbereitet

Die Ausbildung in Deutschland hat nach einer neuen Studie Nachholbedarf bei der Digitalisierung. So bewerten vier von zehn Auszubildenden die digitale Ausstattung ihrer Berufsschule nur als ausreichend oder mangelhaft. Nur knapp jede und jeder zweite Azubi fühlt sich durch die Ausbildung sehr gut oder gut auf die digitalen Anforderung im künftigen Beruf vorbereitet. Das geht aus dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Ausbildungsreport 2023 der DGB-Jugend hervor. Insgesamt haben Schülerinnen und Schüler nach einem Stimmungstief in der Corona-Pandemie einer weiteren Umfrage zufolge wieder einen optimistischeren Blick auf die Ausbildungsperspektiven.
DGB-Report: Viele Azubis schlecht auf Digitalisierung vorbereitet
Bild: AdobeStock

Laut dem DGB-Report mit knapp 10 000 Befragten bewerten die betroffenen jungen Leute den «bisher erreichten Stand bei der Anpassung der Ausbildung an die Herausforderungen des digitalen Wandels» weit kritischer als Unternehmen und Schulpersonal. So halten nur ein gutes Drittel der Befragten die Digital-Ausstattung der Berufsschulen für gut oder sehr gut.

Knapp 40 Prozent der Auszubildenden geben an, von ihren
Ausbildungsbetrieben nur «selten» oder sogar «nie» die benötigten technischen Geräte für eine digitale Ausbildung zu erhalten. «Viele Berufsschulen sind nicht zeitgemäß ausgestattet und viele Betriebe sind offenbar zu geizig, ihre Auszubildenden angemessen und modern auszustatten», sagte DGB-Bundesjugendsekretär Kristof Becker.

Dabei schwankt die digitale Qualität zwischen den Ausbildungsberufen stark. So sagen drei von vier der angehenden Fachinformatikerinnen und -informatikern, dass sie sehr gut oder gut auf die digitale Berufswelt vorbereitet würden. Über 60 Prozent liegen die Werte auch bei den Kaufleuten für Büromanagement, bei den Bank- und Industriekaufleuten und den Mechatronikern. Azubis in einer Gärtnerei, Tischlerei oder als Köchin oder Koch finden die digitale Vorbereitung nur zu 20 bis 30 Prozent gut oder sehr gut.

Insgesamt sind 71 Prozent der befragten Auszubildenden mit ihrer Ausbildung sehr zufrieden oder zufrieden, knapp 3 Punkte weniger als im Vorjahr. Jede und jeder Sechste würde die Ausbildung im eigenen Ausbildungsbetrieb nicht weiterempfehlen. Knapp ein Drittel der befragten Auszubildenden muss regelmäßig Überstunden machen. 929 Euro beträgt dabei die durchschnittliche Vergütung der befragten Auszubildenden über alle Ausbildungsjahre und Berufe hinweg. Insgesamt 13 Prozent der befragten Auszubildenden muss laut dem DGB-Report «immer» oder «häufig» ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen. Der DGB forderte massive Investitionen in die berufliche Bildung.

Schülerinnen und Schülern sehen ihre Ausbildungschancen einer weiteren Umfrage zufolge überwiegend positiv. Mehr als drei Viertel der knapp 1700 Befragten schätzen ihre Chance auf eine Lehrstelle als gut oder sogar sehr gut ein. Das Institut iconkids & youth hatte sie im Juni im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung befragt. Damit sei eine Trendwende erreicht, nachdem in den vergangenen Jahren viele junge Menschen ihre Perspektiven auf dem Ausbildungsmarkt negativ bewertet hätten, teilte die Stiftung am Mittwoch mit.

Aus Sicht der Wirtschaft jedoch ist die Lage weiter angespannt: Zehntausende Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt, weil es weniger Schulabgängerinnen und -abgänger gibt als etwa noch vor zehn Jahren. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom Juli sind aktuell noch 228 000 Ausbildungsstellen unbesetzt. 2022 hatte es ein leichtes Vorjahresplus von 0,8 Prozent auf rund 470 000 neue Ausbildungsverträge gegeben. Dies waren aber acht Prozent weniger als im letzten Corona-Vorkrisenjahr 2019.

Unter Jugendlichen mit niedriger Schulbildung allerdings sei nach wie vor der Eindruck weit verbreitet, schlechte oder eher schlechte Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu haben: In dieser Gruppe blicken immerhin 26 Prozent der Befragten pessimistisch auf das Ausbildungsgeschehen. (dpa)

Kaufkraft am Wendepunkt? Reallöhne erstmals wieder gestiegen

Nach harten Pandemiejahren wächst die Hoffnung auf eine Kehrtwende bei den Reallöhnen. Sie sind im zweiten Quartal dieses Jahres um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag berichtete. Neben der etwas nachlassenden Inflation waren es vor allem die vergleichsweise hohen Tarifabschlüsse, die zu einem sehr starken Anwachsen der Nominallöhne führten. Sie übertrafen mit einem Plus von 6,6 Prozent die Steigerungen bei den Verbraucherpreisen (6,5 Prozent).
Kaufkraft am Wendepunkt? Reallöhne erstmals wieder gestiegen
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Das hatte es zuletzt im zweiten Quartal 2021 gegeben. In der Jahressicht sind die Reallöhne bereits seit 2020 rückläufig, als der Corona-Schock zu massenhafter Kurzarbeit führte. In den vergangenen zwei Jahren war dann der starke Anstieg der Verbraucherpreise der wichtigste Grund für den Reallohn-Schwund. Die Veränderung des Reallohns wird berechnet, indem man vom durchschnittlichen Zuwachs des nominalen Bruttolohns den Anstieg der Verbraucherpreise abzieht.

Nachdem die Verbraucher im Zeichen der energiepreisgetriebenen Inflation ihr Geld zusammengehalten haben, könnte nun wieder der private Konsum die wirtschaftliche Entwicklung stützen, erwartet die Chef-Volkswirtin der staatlichen KfW-Bankengruppe, Fritzi Köhler-Geib. Sie rechnet zum Jahresende mit einer deutlicheren Erhöhung der Reallöhne. «Getrieben durch die hohen Preissteigerungen und den Fachkräftemangel erhalten Arbeitnehmende im laufenden Jahr die höchsten nominalen Verdienststeigerungen seit 30 Jahren», analysierte die Ökonomin.

Der nominale Lohnanstieg um 6,6 Prozent von April bis Juni war der Statistik-Behörde zufolge der stärkste seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008. Neben den Tarifabschlüssen trugen dazu auch der zum Oktober 2022 erhöhte Mindestlohn und die höhere Minijobgrenze von 520 Euro bei. Mehr Kaufkraft brachte zudem die in vielen Betrieben vereinbarte Inflationsausgleichsprämie. Diese Einmalzahlung kann bis zu einem Betrag von 3000 Euro steuer- und abgabenfrei gestellt werden und steht nicht dauerhaft in den Lohntabellen. Das wiederum dämpft auch die sogenannten Zweitrundeneffekte, wenn sich Löhne und Preise wechselseitig hochschaukeln und so die Inflation verfestigen würden.

Geringfügig Beschäftigte wiesen mit 9,7 Prozent die höchsten Lohnsteigerungen auf. Bei den Branchen legten die Nominallöhne dort besonders zu, wo während der Corona-Krise große Einbrüche registriert worden waren: Gastronomie (+12,6 Prozent), Verkehr und Lagerei (+10,0 Prozent) sowie der Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung (11,9 Prozent).

Laut einer Analyse der OECD sind während der Corona-Pandemie die Nominallöhne in fast allen entwickelten Volkswirtschaften gesunken. Gleichzeitig habe sich die Beschäftigung inzwischen erholt und zur niedrigsten Arbeitslosigkeit seit den frühen 1970er-Jahren geführt. Da es wenige Anzeichen für eine Preis-Lohn-Spirale gibt, rät die OECD zu staatlich kontrollierten Mindestlöhnen und Tarifverhandlungen, um die Kaufkraftverluste der Beschäftigten abzufedern.

Ob im Gesamtjahr 2023 in Deutschland die Reallöhne höher ausfallen als im Vorjahr, ist für den Leiter Arbeitsmarktanalyse am Kieler Institut für Weltwirtschaft, Dominik Groll, noch nicht ausgemacht. Er sieht aber eine Trendwende: «Spätestens im kommenden Jahr werden die Nominallöhne dann aller Voraussicht nach aber deutlich stärker steigen als die Verbraucherpreise. Mit etwas Glück könnten die Reallohnverluste, die sich zwischen 2020 und 2022 aufsummiert haben, dann sogar wettgemacht sein.»

Die Lücke ist allerdings gewaltig, wie die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung mahnt. «Die Reallöhne sind noch weit davon entfernt, den herben inflationsbedingten Einbruch vom Vorjahr wieder aufzuholen», sagt Tarif- und Einkommensexperte Malte Lübker. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2019, also der Zeit vor der Corona-Pandemie, seien die Reallöhne um 5,6 Prozent gefallen.

Wenn die Reallöhne im Jahr 2024 wie erwartet spürbar steigen, gebe das auch für die Konjunktur Anlass zu vorsichtigem Optimismus, sagte KfW-Ökonomin Köhler-Geib. Die deutsche Wirtschaftsleistung (BIP) dürfte nach einem Rückgang um 0,4 Prozent im laufenden Jahr wieder wachsen - «wenn auch mit 0,8 Prozent nur mäßig.» (dpa)

Vollzeitjobs eine gute halbe Stunde kürzer

Eine gute halbe Stunde pro Woche weniger: Ein durchschnittlicher Vollzeitjob in Deutschland hat sich innerhalb von zwölf Jahren deutlich verkürzt. Die Arbeitnehmer leisteten im Schnitt im vergangenen Jahr 40,0 Stunden pro Woche, wie das Statistische Bundesamt am Montag berichtete. Im Jahr 2010 waren es noch 40,6 Stunden gewesen. Frauen in Vollzeit arbeiteten 2022 mit 39,2 Stunden etwas kürzer als die Männer, die 40,4 Stunden pro Woche im Job verbrachten.
Vollzeitjobs eine gute halbe Stunde kürzer
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Gegenläufig entwickelten sich bei steigendem Anteil die Teilzeitjobs. Sie verlängerten sich von 18,4 Stunden im Jahr 2010 auf zuletzt 21,2 Wochenstunden. Hier fiel der Anstieg bei den Frauen etwas stärker aus als bei den Männern. Die Frauen arbeiteten im vergangenen Jahr mit 21,7 Stunden in Teilzeitjobs länger als die Männer mit 19,5 Stunden.

Durch die beiden gegenläufigen Trends bei Voll- und Teilzeit nahm unter dem Strich die geleistete Wochenarbeitszeit um 0,4 Stunden auf 34,3 Stunden ab.

Die Angaben stammen aus dem Mikrozensus, bei dem die Befragten eigene Angaben zur Dauer ihrer Beschäftigung gemacht haben.

Licht und Schatten: Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt

Die Wirtschaft sieht trotz Lichtblicken eine angespannte Lage auf dem Ausbildungsmarkt in Deutschland. «Der Azubi-Mangel wird zum Fachkräftemangel», sagte Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), am Mittwoch in Berlin. Laut einer Umfrage kann fast jeder zweite Betrieb nicht mehr alle Ausbildungsplätze besetzen - so viele wie nie zuvor.
Licht und Schatten: Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt
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Lage auf dem Ausbildungsmarkt

Hauptursache dafür, dass 47 Prozent aller IHK-Ausbildungsbetriebe 2022 nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen konnten, ist laut DIHK, dass keine geeigneten Bewerbungen vorlagen. Mehr als jeder dritte Betrieb, der nicht alle Plätze besetzen konnte, habe nicht eine einzige Bewerbung erhalten: «Zu viele Jugendliche glauben noch immer, dass der Weg zum beruflichen Erfolg nur durch ein Studium zu erreichen ist - und scheitern dann häufig als Studienabbrecher.»

Es gebe außerdem eine zunehmende Verunsicherung bei der Berufswahl von Schulabgängern durch eine mangelnde Berufsorientierung. Dercks betonte die Bedeutung von Betriebspraktika während der Schulzeit. Auf Schülerpraktika folgten häufig Bewerbungen. Es gebe an Schulen aber wenig stringente Formen für eine Berufsorientierung.

Viele Stellen unbesetzt

Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit von Juli sind aktuell noch 228 000 Ausbildungsstellen unbesetzt. 2022 gab es ein leichtes Plus von 0,8 Prozent auf rund 470 000 neue Ausbildungsverträge. Dies waren aber acht Prozent weniger als im letzten Corona-Vorkrisenjahr 2019. Im Bereich der Industrie- und Handelskammern gab es laut DIHK bis Ende Juli knapp 207 000 neue Ausbildungsverträge - 3,7 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. «Das ist ein Silberstreif am Horizont, aber noch lange keine Entspannung», so Dercks. Eine Prognose für das gesamte Jahr wollte er nicht abgeben.

Voraussichtlich blieben viele zehntausende Ausbildungsplätze unbesetzt. Das Kernproblem sei der demografische Wandel. Es gebe heute rund 100 000 weniger Schulabgängerinnen und Schulabgänger als noch vor zehn Jahren. Das führe unter anderem dazu, dass bald bis zu 400 000 Beschäftigte mehr den Arbeitsmarkt verlassen, als neue hinzukommen.

Probleme in Branchen

Betriebe im Gastgewerbe melden laut DIHK bereits seit Jahren die größten Herausforderungen aller Branchen bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen. Die Ausbildung neuer Fachkräfte im Gastgewerbe sei aber «dringend» notwendig. In der Pandemie habe sich eine Vielzahl von Fachkräften in anderen Branchen neu orientiert und sei dauerhaft verloren gegangen.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband verweist aber auf ein Bewerberplus bis Ende Juli von 10,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dehoga-Geschäftsführerin Sandra Warden sagte: «Wir sind zuversichtlich, dass die Branche am Ende des Jahres weiter aufgeholt haben wird.» Das sei eine gute Nachricht sowohl für die Ausbildungsbetriebe als auch für die Gäste. Längerfristig gingen aufgrund der Demografie und ständig steigender Studierendenzahlen die Ausbildungszahlen zurück. Das Gastgewerbe habe einen großen Anteil kleiner und mittelständischer Betriebe, so Warden. «Diese haben es im Wettbewerb mit Großindustrie, Öffentlichem Dienst und Großstädten besonders schwer, Auszubildende zu gewinnen. Die Ausbildungsbetriebe müssen viel mehr tun als früher, um junge Menschen zu überzeugen.»

Im Einzelhandel sei die aktuelle Ausbildungslage angespannt, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands HDE, Stefan Genth. Die Branche biete eine sehr große Anzahl an Ausbildungsplätzen und baue seit einigen Jahren ihr Stellenangebot aus. Gründe seien die nahenden Renteneintritte und die dadurch frei werdenden Arbeitsplätze für Fachkräfte. «Allerdings wird es immer schwerer dieses große Angebot zu besetzen, da schlichtweg weniger Bewerber auf den Markt drängen», so Genth. «Die Konkurrenz um die besten Köpfe wird mit Blick auf die demografische Entwicklung künftig noch härter werden.»

Was Gewerkschaften und die Opposition sagen

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sagte, es sei fatal, dass trotz Fachkräftemangels und demografischen Wandels 2,6 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss seien und jedes Jahr über 200 000 in den «Warteschleifen» des Übergangssystems landeten. Es brauche eine bessere Berufsorientierung und eine individuelle Begleitung. «Aber auch die Betriebe sind in der Pflicht, die Attraktivität ihrer Ausbildung zu erhöhen.» Dafür gebe es schon viele Beispiele: schnellere Bewerbungsverfahren, Vier-Tage-Woche oder Verzicht auf Nachtarbeit. Zur Wahrheit gehöre auch, dass immer noch zu wenig Ausbildungsplätze für Hauptschüler angeboten werden, so Hannack. «Die Unternehmen betreiben eben vielfach eine Bestenauslese - von diesem Ross müssen sie endlich runter.»

Die Chefin der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann, forderte steuerliche Entlastungen für Ausbildungsbetriebe. Außerdem müsse es mehr Berufsorientierung für alle Schüler geben. «Ab der achten Klasse, also ab 14 Jahren, müssen in allen Schulformen jedes Jahr mindestens fünf Tage schulische Praktika in Ausbildungsberufen absolviert werden. Deutschland braucht nicht nur Master, sondern auch Meister.» (dpa)

Beleidigung und Schmähung per WhatsApp - Kündigung rechtens?

Pöbeleien und böse Beleidigungen treffen auch Manager und Arbeitnehmer im Internet. Wenn solche Schmähungen durch Kollegen öffentlich sind, drohen außerordentliche Kündigungen. Aber wie öffentlich oder privat sind ehrverletzende Äußerungen in geschlossenen Chatgruppen wie beim Messaging-Dienst WhatsApp? Diese Frage beschäftigte bisher die Arbeitsgerichte einzelner Bundesländer. Am 24. August waren erstmals die höchsten deutschen Arbeitsrichter in Erfurt am Zug. Der Präzedenzfall, den sie verhandeln, stammt aus Niedersachsen.
Beleidigung und Schmähung per WhatsApp - Kündigung rechtens?
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Der Fall: Bis zu sieben befreundete Arbeitskollegen einer Fluggesellschaft, darunter zwei Brüder, bildeten über Jahre eine WhatsApp-Gruppe und tauschten fleißig Nachrichten über ihre privaten Smartphones aus. Ihr Arbeitgeber geriet in Turbulenzen, Umstrukturierungen standen an. Mitglieder der Chatgruppe sollten 2022 in eine Transfergesellschaft wechseln. Monate davor wurde ein Teil ihres Chat-Verlaufs mit wüsten Beschimpfungen eines ihrer Chefs kopiert und gelangte zunächst an den Betriebsrat und dann an den Personalchef - immerhin ein 316-seitiges Dokument. Dessen Echtheit bestätigte einer der Beteiligten schriftlich, wie aus dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen von Dezember 2022 hervorgeht. Hintergrund soll ein Arbeitplatzkonflikt gewesen sein.

Die Reaktion des Arbeitgebers: Dem Personalchef des Unternehmens wurde beim Lesen einiges zugemutet: Die Chats enthielten beleidigende, rassistische, teilweise menschenverachtende und sexistische Äußerungen sowie Aufrufe zu Gewalt. Unter anderem ist von «in die Fresse hauen» die Rede. Der Arbeitgeber reagierte mit außerordentlichen Kündigungen, denen der Betriebsrat zustimmte. Die Betroffenen zogen vor Gericht - bis in die letzte Instanz.

Die Entscheidung der Vorinstanzen: Das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gaben den Klagen der pöbelnden Arbeitnehmer statt. Der Arbeitgeber sollte ihnen Gehalt nachzahlen. Das Landesarbeitsgericht, das eine Revision zuließ, begründete seine Entscheidung so: «Äußerungen in einer privaten Chatgruppe genießen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht, wenn der Äußernde auf die Wahrung der Vertraulichkeit vertrauen durfte.»

Die rechtliche Bewertung: Die Bundesarbeitsrichter stehen nun vor der Frage, ob eine WhatsApp-Gruppe unter Kollegen eine Art geschützter Raum ist, in dem private Meinungen und Beschimpfungen von Chefs ohne arbeitsrechtliche Folgen ausgetauscht werden können. Möglicherweise geht es auch darum, ob die kopierten Chatprotokolle im Rechtsstreit überhaupt verwertbar sind.

«Bei kleinen, geschlossenen Chatgruppen wie oft bei WhatsApp ist die bisherige Rechtssprechung der Arbeitsgerichte unterschiedlich», sagte der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing der Deutschen Presse-Agentur. Fälle seien unter anderem von Gerichten in Berlin-Brandenburg und Nordrhein-Westfalen verhandelt worden. Die Beleidigungen im Fall aus Niedersachsen bezeichnete Thüsing als krass und menschenverachtend. «Die Frage ist, ob das noch privat und damit geschützt ist.» Chat-Inhalte könnten schließlich weitergeleitet und gespeichert werden. Beleidigungen mit betrieblichem Bezug sind laut Thüsing «ein klassischer Grund für außerordentliche Kündigungen».

Sozialen Medien und Gerichte: Grobe Beleidigungen und Ehrverletzungen von Kollegen und Arbeitgebern in den sozialen Medien spielen nach Angaben des Arbeitsrechtlers zunehmend eine Rolle bei Streitigkeiten vor den Gerichten in Deutschland. Das Spektrum sei breit - von der Weiterleitung intimer Fotos von Kolleginnen bis zur Kündigung per WhatsApp. Eindeutig sei die Rechtsprechung inzwischen, «wenn Beleidigungen nicht im Schutz einer kleinen Chatgruppe ausgesprochen werden» - dies könnte außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen.

(Text: Simone Rothe, dpa)

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